
Splitternde Schilde, fallende Ritter: „Geschifttartschen-Rennen“ zwischen Freydal und Sigmund von Welsperg. Foto: Taschen Verlag / Kunsthistorisches Museum Wien
An Action ist kein Mangel: Ritter taumeln, Pferde stürzen, Lanzen splittern, Schilde zerspringen, Dolche blitzen. Es ist eine wild bewegte Szenerie, die mit kräftigen Strichen und satten Farben, mit Blattgold und Blattsilber präsentiert wird. Fast meint der Betrachter, sich in Deckung bringen zu müssen. So vital, nahezu sinnlich spürbar sind die Darstellungen aus dem „Freydal“, dem grandiosen Turnierbuch des Kaisers Maximilian I. (1459-1519) aus dem beginnenden 16. Jahrhundert.
Lange lag es im Kunsthistorischen Museum in Wien unter Verschluss. Doch in den vergangenen vier Jahren, von 2014 bis 2018, wurde das Werk, das zum Weltdokumentenerbe der Unesco gehört, in einem internationalen Forschungsprojekt untersucht. Und nun gelangt dieses beredte Zeugnis und feine Kunstwerk einer vergangenen Zeit, das größte seiner Art, erstmals in ganzer Pracht und Herrlichkeit in einem Großband an die Öffentlichkeit.
„Ach got, was haben wir gethon!“
Freydal heißt der Held dieses Bilderreigens, in dem es vor allem um den Kampf Ritter gegen Ritter geht, aber auch um höfische Kostümfeste der vorkarnevalistischen Art, um die Mummerei. Die Erzählung selbst blieb unvollendet, doch wissen wir, dass dieser Freydal eine Aufgabe zu erledigen hatte, wie sie aus vielen mittelalterlichen Erzählungen bekannt ist: Er muss sich bewähren, um die Gunst der Geliebten, also ihre Minne zu gewinnen. Das heißt: In diesem Fall sind es gleich drei Frauen, die ihn auf eine Turnier-Tournee schicken. Als er aufbricht, verspüren diese Frauen eine Sorge: „Ach got, was haben wir gethon!“ Siegreich heimgekehrt, muss Freydal sich entscheiden: Maria heißt die Frau seiner Wahl.
In der frühen Neuzeit, als das Bürgertum an Einfluss gewann und die Welt der Ritter verblich, war es Maximilian möglicherweise wichtig gewesen, in Text und Bild zu dokumentieren, aus welchem Stoff ein Adliger gemacht ist. Vor allem aber wird es ihm darum gegangen sein, der Nachwelt im Gedächtnis zu bleiben. Denn die Kunstfigur Freydal ist im wirklichen Leben der Herrscher höchstselbst. Es ist nicht das einzige „Gedächtniswerk“, das der Kaiser veranlasst hat. Ein weiteres ist der „Weisskunig“, worin geschrieben steht, derjenige sei gleich mit dem Glockenschlag seiner Leichenfeier vergessen, der sich nicht um die Erinnerung für die Nachwelt kümmere. Das wollte Maximilian verhindern.
Unter einem Turnier verstand das Mittelalter zunächst eine militärische Übung. Abgeleitet vom französischen „tourner“ ging es darum, die Stöße mit der Lanze immer wieder neu zu üben. Daraus entwickelte sich das Turnier als Bühne für das Rittertum, auf dem es sich zeigen und beweisen konnte. Kaum ein Großereignis, kein Reichstag und keine Krönung, kam ohne diese Pracht-und Machtdemonstration aus. Aber auch die Maskenbälle hatten Tradition. Sie waren ein Spiegel der Zeit. Nicht nur ihrer jeweiligen Mode. So weisen die als Osmanen verkleideten Adligen, wie sie im „Freydal“ zu sehen sind, auf eine west-östliche Annäherung der hohen Politik hin.
„Zu Cöln gemacht“
Kaiser Maximilian selbst, der vor 500 Jahren gestorben ist, hatte das Konzept für diese „Dokumentation“ entworfen. Den größten Teil, so teilte der Habsburger 1512 mit, habe er „zu Cöln gemacht“. Also in Köln am Rhein. Was er damit genau meint, ist nicht gewiss. Aber dass Maximilian dem Werk seine stete Aufmerksamkeit gewidmet hat, ist überliefert. Jedenfalls stellt Stefan Krause in seinen Erläuterungen fest, dass seine Hoheit allerlei Anregungen gegeben und Korrekturen eingefordert hat. Manches, was da zwischen 1512 und 1515 von anonymen Künstlern im süddeutsch-österreichischen Raum illustriert worden ist, musste nachgebessert werden. Der Herrscher war ins Detail verliebt.
Sein Faible fürs Turnier, so legt es Krause nahe, hatte Maximilian in Burgund entdeckt. In jener Region, aus der seine Ehefrau Maria stammte, wurde das Hofzeremoniell mit besonderem Nachdruck gelebt. Die Vielfalt der Waffen, Kämpfe und Rüstungen, die im „Freydal“ dokumentiert sind, ist verblüffend. Zu Pferde ging es ins Scharfrennen, Anzogenrennen oder Bundrennen, ins Deutsche Gestech ohne oder ins Welsche Gestech mit trennenden Planken, und besonders gefährlich war das Feldrennen, in das man rundum gepanzert zog. Zu Fuß wurde auch gekämpft – mit Spießen, Streitkolben, Schwertern, Wurfsternen, Streithämmern, Dreschflegeln und anderen Waffen mehr. Was man da nicht alles auf dem Held trug – Sonne, Mond und Sterne, Blumen, Früchte und Federn, die eigenen Initialen oder eine Frauenfigur, religiöse Symbole oder auch mal eine „Schandfeige“, die mit dem ausgestreckten Mittelfinger der Gegenwart gleichgesetzt werden kann.
Was auf den insgesamt 255 Bildern des „Freydal“ zu sehen ist, entsprang durchaus nicht nur der Phantasie. Mit einigen der Gegner, die in dem Werk Erwähnung finden, hatte sich Maximilian in Turnieren gemessen. Einige leichtere Verletzungen, die er sich zugezogen hatte, sind überliefert. Zwar ging es nicht darum, den Gegner zu töten, sondern ihn aus dem Sattel zu heben. Aber Todesfälle gab es immer wieder. Schon beim ersten überlieferten Turnier, das Joachim Bumke in seinem Standardwerk zur Höfischen Kultur erwähnt hat, gab es ein erstes Opfer: 1095 wurde Graf Heinrich III. von Löwen in vollem Galopp erstochen. Die Wucht beim Aufprall der Lanzen – das lesen wir jetzt wiederum bei Krause – soll dem einer Frontal-Kollision zweier Pkw bei Tempo 60 entsprochen haben.
„Stechen im Hohen Zeug“
Ja, Maximilian verstand sich als Förderer des sich allmählich verabschiedenden Turnier-Wesens. Er belebte alte Varianten wie das „Stechen im Hohen Zeug“ (die Ritter saßen festgeklemmt in ihren Sätteln) oder erfand neue wie das „Rennen mit geschifteten Tartschen“, bei denen die Schilde aufgrund eines komplizierten Mechanismus spektakulär zersprangen, sobald ein sensibler Punkt darauf getroffen wurde. Keine Frage – es handelte sich um einen sehr ausdifferenzierten Zeitvertreib.
Stefan Krause meint, dass sportliche Wettbewerbe von der Antike bis in die Neuzeit nur selten „höhere Eleganz und größere gesellschaftliche Bedeutung“ erreicht haben als die ritterlichen Turniere der frühen Neuzeit. Er fasst zusammen: „Am Turnierplatz jener Zeit traf der Nervenkitzel des Wettkampfes auf die Anmut der Minne, die Ideale des Rittertums stießen auf die Realität der Diplomatie.“ Wer sich davon überzeugen möchte, dem ist dieser fürsorglich edierte Band eine reiche und schöne Quelle. Einerseits ist es eine Reise in eine ferne Zeit. Andererseits ist uns die Lust an Nervenkitzel und Spektakel, Party und Mode, die hier ausgestellt wird, so fremd nun auch wieder nicht.
Martin Oehlen
Stefan Krause (Kg.): „Freydal – Das Turnierbuch Kaiser Maximilians I.“, Taschen, dreisprachig, 448 Seiten, 150 Euro.
Hallo und vielen Dank für den hilfreichen Artikel!
Sehr cooler Blog.
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Sehr gerne! Und vielen Dank fürs Lob. Das kann man immer gebrauchen.
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