Hanya Yanagiharas Romanheld zwischen Genialität und Versagen in der Südsee

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Fotos: Bücheratlas

Hanya Yanagiharas zweiter  Roman   „Ein  wenig Leben“  war ein Megaerfolg. Heiß diskutiert, heftig umstritten. Millionenfach verkauft. Jetzt hat der Verlag Hanser Berlin ihren Debütroman „Das Volk der Bäume“ aus dem Jahr 2013 hinterhergeschoben, wohl in der Hoffnung, an den Erfolg von „Ein wenig Leben“ anzuknüpfen.  Der Plan könnte durchaus aufgehen, denn auch das erste Werk der New Yorker Journalistin ist  bereits ein großer Wurf. Intensiv, sprachgewaltig.  Und gesegnet mit  einem Protagonisten, der  – wie Jude St. Francis aus „Ein wenig Leben“ – durchaus als Reizfigur taugt.

Norton Perina, so sein Name, ist ein anerkannter US-amerikanischer  Wissenschaftler. Auf einer abgelegenen Südseeinsel ist er Anfang der 1950er Jahre dem Geheimnis des ewigen Lebens auf die  Spur gekommen. Seine Forschungen über das von ihm entdeckte Selene-Syndrom gelten  als bahnbrechend. Doch der Mann aus Lindon, Indiana, hat auch eine dunkle Seite. Er ist pädophil. Schon auf den ersten Seiten des Romans erfahren wir von den Anschuldigungen eines seiner Adoptivsöhne, Perina habe ihn  mehrmals vergewaltigt, Unzucht mit ihm getrieben  und ihn sexuell genötigt. Der Nobelpreisträger wird  zu einer Freiheitsstrafe von  zwei Jahren verurteilt. Er verliert seinen Ruf,  seine Kinder und seine wenigen Freunde.

Die Geschichte ist angelehnt an einen realen Fall, der in der Familie der Autorin seinerzeit  für lebhafte  Diskussionen sorgte. 1997 war der amerikanische Wissenschaftler und  Mediziner Daniel Carleton Gaydusek wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt und verurteilt worden. Der Nobelpreisträger hatte mehr  als 50 Kinder aus Papua-Neuguinea adoptiert und   einige von ihnen, so der Vorwurf,  sexuell missbraucht.  Nach  seiner Entlassung aus dem Gefängnis zog er nach Europa und starb   2008 in Norwegen.

„Wenn ein großer Mann schreckliche Dinge tut, ist er dann noch ein großer Mann?“, fragte man sich seitdem in der Familie Yanagihara. „Kann das Versagen  eines Menschen durch sein Genie ausgeglichen werden?“ Hanya Yanagihara weiß  bis heute keine Antwort auf diese  Fragen.   Sie glaube jedoch,  schreibt sie in einem Begleitwort zu  „Das Volk der Bäume“, dass „wir einen Menschen vollständig  betrachten können und sogar müssen:  als jemanden, der Gutes getan hat, und als jemanden, der Leid verursacht hat“.

Wir lernen den  Ich-Erzähler ihres Romans als naseweisen kleinen Jungen kennen, der früh seine  Mutter verliert und die Welt aus einer gewissen emotionalen  Distanz betrachtet. Auch als Erwachsener hat er nur wenige Freunde. Mit   den beiden Wissenschaftlern,  mit denen er seine erste Expedition in die  Südsee unternimmt, wird er auch  in der Einsamkeit des  mikronesischen  Dschungels nicht vertraut.

Der Wissenschaftler  entwickelt sich mehr und mehr zu einem  selbstgerechten Exzentriker,  dessen sexuelle Vorlieben man zunächst nur   erahnen kann.  Wie Gaydusek adoptiert er auf seinen zahlreichen  Südsee-Expeditionen Dutzende  Kinder und gibt ihnen in den USA ein neues Zuhause.  Dass er sich jahrelang an  ihnen  vergeht,  erzählt er ohne erkennbares Unrechtsbewusstsein erst auf den letzten Seiten. Perina zerstört nicht nur sein eigenes Leben und das seiner Adoptivkinder. Auch die Südseeinsel, auf der  das Volk der  Bäume  beheimatet ist, liefert  er dem Untergang aus.   Eindringlich schildert Hanya Yanagihara den Wandel des einstigen Inselparadieses in eine trostlose Wüstenei.

Ein Buch von großer erzählerischer Kraft mit einem monströsen Helden, der  trotzdem Mensch ist.

Petra Pluwatsch

http://www.ksta.de

Hanya Yanagihara: „Das Volk der Bäume“, dt. von Stephan Kleiner, Hanser Berlin, 480 Seiten, 25 Euro.

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