T. C. Boyle schickt seine Leser auf einen LSD-Trip (und geht selbst auf Tour)

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Der Schriftsteller als großer Entertainer: T. C. Boyle   Fotos: Bücheratlas

Achtung, jetzt wird’s  mal kurz etwas  kompliziert: Lysergsäurediethylamid. Darum geht es.  Aber weil das kaum jemand, der kein Chemiker oder Fachwörter-Freak ist, locker-flockig auszusprechen vermag, gibt es gute Gründe für die Abkürzung: LSD. Entdeckt hat diese Mutterkorn-Verbindung der Schweizer Albert Hofmann (1906 – 2008). Seinem Wirken im Basel des Jahres 1943 gilt ein schönes Vorspiel zu T. Coraghessan Boyles neuem Roman.

Als Hofmann am 19. April einen Selbstversuch unternimmt, stellt er mit geweiteten Pupillen und zur Decke starrend fest: „Das Licht!“ Und vielleicht noch bemerkenswerter für die Wirkung des Präparats: Er nennt  Fräulein Ramstein, die ihn verehrende Mitarbeiterin, plötzlich „Susi“. Das Zeug hat es in sich. Als Hofmann wieder festen Boden unter den Füßen hat, spricht er von einer „Revolution“: „Wir haben hier etwas, das stärker ist als jede Bombe, jedes Reagenz, jede Synthese, die irgendjemand je entdeckt hat, dessen bin ich sicher, so sicher, wie ich es noch nie zuvor gewesen bin.“

T. C. Boyles Roman erscheint in den USA erst  im April. Dort  dann unter dem Titel „Outside Looking In“. Der deutsche Titel „Das Licht“ war auch für die englischsprachige Ausgabe im Gespräch, wie Boyle auf seiner Homepage mitteilt, eben in der Variante „The Light“. Auf jeden Fall keine schlechte Wahl für diesen Roman einer Bewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Bewusstsein zu befreien und das Licht am Ende des Tunnels zu erblicken. Manche sagten auch „Gott“ dazu.

Alles dreht sich um  Tim, der in die Geschichte eingegangen ist unter seinem bürgerlichen Namen Timothy Leary (1920 – 1996). Er ist die Sonne in einem selbst geschaffenen System. Allerdings geht es hier nur um die  Zeit von  1962 bis 1964.  Erneut widmet sich  Boyle also  einer  historischen Figur, um die er sein kräftiges Erzählgarn spinnt. Das war schon so bei seinem ersten Roman „Wassermusik“ (1982), in dem er der Spur des schottischen Afrika-Forschers Mungo Park folgte. Stärker noch fokussierte er die Romanbiografie bei dem Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellogg in „Willkommen in Wellville“ (1993), dem Sexualforscher Alfred Charles Kinsey in „Dr. Sex“ (2005) und dem Architekten Frank Lloyd Wright in „Die Frauen“ (2009).

Der Kontrollturm wird außer Gefecht gesetzt

Nun also ist  Timothy Leary das Zentralgestirn,  welches  – wenn man  so sagen darf – den Rahmen für diesen Roman vorgibt.  Doch die beiden wichtigsten Personen, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird,  sind der junge Wissenschaftler Fitz und  seine Ehefrau Joanie. Sie stoßen  in Harvard (Fachbereich Psychologie) zum innersten Kreis   des   Professors vor – wobei es in Wahrheit nur diesen einen Kreis um ihn gab. Entweder man war dabei oder nicht.    Leary  gilt  dort als „brandheiß“ aufgrund seiner  Versuche, die Psychotherapie zu revolutionieren. Die Droge scheint ihm das ideale Mittel zu sein, um „den Kontrollturm des Gehirns außer Gefecht zu setzen“ und das Unterbewusste zu befreien.

Es handelt sich hier zunächst um ein Langzeitprojekt des Zentrums für Persönlichkeitsforschung. Dabei will Fitz, der wissbegierige junge Wissenschaftler,  nicht fehlen.   Doch mehr und mehr wird  er von der Droge angezogen.   Und auch seine Ehefrau Joanie mag      die regelmäßigen „Sessions“, bei denen Leary „das Sakrament“ in Tablettenform  verteilt, nicht missen. Zuvor nie gehörte Vokabeln werden mehr und mehr vertraut: Es geht um „Trips“ und  ums „Ausflippen“.

Boyle schildert routiniert anschaulich   die drei Stufen der Entwicklung. Da ist zunächst die vorsichtige Annäherung an die Droge. Leary muss erst einmal Überzeugungsarbeit leisten: „Wir können es uns nicht leisten, dieses Werkzeug zu ignorieren – nicht als Psychologen, nicht als menschliche Wesen.“ Diesem Beginnen  folgt  das freudige Begreifen der neuen  Dimension, eines Bildersturms und Farbrauschs und einer Art  „Hyperaufmerksamkeit“ ohnegleichen: „Unvermittelt erwachten alle Objekte im Raum zum Leben, als hätten sie ein Herz und würden von Blut durchströmt: Kommode, Bücherregal, Orientteppich, Schaukelstuhl, Sessel, das Seestück über dem Kamin – alles bebte, bewegte sich, warf Licht durch den Raum.“  Schließlich  geht es um das stetige Verlangen  nach weiteren, gerne auch  stärker dosierten Trips.

Leary ist der Gottvater. Auch weil er der Hüter aller  Tabletten  ist. Ihm folgen die Anhänger  auf allen seinen Wegen.   Als einer  von ihnen in Mexiko von einem Skorpion gestochen wird, fordert Leary die Gruppe auf, „heilende Gedanken“ zu denken und dadurch die „Negativität“ des Gifts zu vertreiben: „Wir sind alle eins – Om.“ In Harvard   wird der Professor gefeuert.

Beklemmend ist Boyles Beschreibung einer verschworenen und zugedröhnten  Gemeinschaft, in der   Fitz und Joanie und ihr Sohn Corey einander verlieren.  Denn in Learys  Kommune in Millbrook  geraten der Alkohol- und Drogenkonsum außer Kontrolle.  Selbst den Jugendlichen werden kleine LSD-Dosierungen verabreicht. Es wäre ja geradezu egoistisch, so die Denkungsart, den Jüngeren die Erfahrung der    „Bewusstseinserweiterung“ zu versagen. Immerhin, den achtjährigen Bobby  schickt man noch nicht auf einen Trip.

Timothy Learys Bestreben ist es,  „all diese Schichten gesellschaftlicher Scheiße abzustreifen.“  Was für ihn zählt, ist das Gruppenbewusstsein, aber nicht das Ego und nicht das Paar.  Besitzansprüche sind out. Auch das „Ehespiel“ ist sowas von gestrig.   Eifersucht? Geht gar nicht. Solcherart   ermuntert  , kommt es  zu  vielfältigen sexuellen Kontakten in der Kommune.   Das führt vor allem zur  Zerrüttung der Beziehung zwischen Fitz und Joanie.    Er bleibt in Millbrook, sie fährt mit ihrem Jungen nach Hause. Und dass sie besser auf Corey hätte aufpassen sollen, wird Joanie rückblickend klar.

Attacke mit dem Stiftzahn

Manchmal hat der Leser den Eindruck, dass Boyle nicht jedes Detail zum Besten geben müsste – nicht jeden Gang die Treppe hinauf, nicht jedes Gericht („Thunfischauflauf mit Brokkoli“), nicht jede Sitzordnung, nicht jede Margarita oder jeden Martini. Aber dann freut man sich auch gleich wieder, wenn der Autor so viel erzählerische Liebe auf die Kleinigkeiten verschwendet und in Klammern anfügt, dass  es sich bei dem Gegenstand, mit dem ein berauschter  Student eine Jesus-Statue beworfen hatte, ein Stiftzahn gewesen sei. Wäre doch schade gewesen, hätte man’s nicht erfahren.

Die Begleitmusik spielte nicht nur für die Leary-Gruppe eine große Rolle. Auch Boyle, einst selbst aktiv als Jazz- und Rockmusiker, wendet sich gerne der Playlist zu: Stan Getz, Charlie Byrd, das Modern Jazz Quartet. Ein  Spaß ist es, als die ersten  Beatles-Songs auf den Plattenteller gelangen. Da scheiden sich   die Geister.  Zwar sagt ein gewisser Charlie weise voraus, das sei „der Sound der Zukunft“. Doch nicht nur   Leary ruft: „Verschone uns mit diesem Lärm.“  Was  John Lennon später nicht daran hindern wird,  „Timmy Leary“ in  „Give Peace A Chance“ zu besingen. Überhaupt hat der LSD-Guru eine beachtliche Rezeption in der Musik gefunden.  Im Hippie-Musical „Hair“, wird er als „Timothy Leary dearie“ besungen.

Ein Liebling? T. Coraghessan Boyle, der schon in   den Romanen „Grün ist die Hoffnung“ (1984) und „Drop City“  (2003) im Reich der Drogen unterwegs war, schildert hier bravourös  den  Absturz aus dem Farbenrausch des Lysergsäurediethylamid. „Es ist falsch“, sagt Joanie gegen Ende zu Fitz, „es ist eine Katastrophe“. Das Licht   auf dem Trip ist nicht Gott, es ist nicht einmal ein Licht.

Martin Oehlen

http://www.ksta.de

T. Coraghessan Boyle: „Das Licht“, dt. von Dirk van Gunsteren, Hanser, 380 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Die Lesereise von T. C. Boyle ist nahezu ausverkauft. Karten gibt es noch für den Auftritt in der Lichtburg in Essen am 7. Februar (Moderation: Margarete von Schwarzkopf). Bei  Dussmanns in Berlin findet am am 5. Februar noch eine Signierstunde statt. Das alles ohne Gewährt, aber mit Verweise auf die Website, der wir uns in diesem Falle anvertraut haben: http://www.tcboyle.de/t-c-boyle-lesereise-2019

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