Helge Malchow zieht Bilanz als Verleger von Kiepenheuer & Witsch

 

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Helge Malchow in seinem Kölner Büro mit Blick auf Dom (aus seiner Sicht: geradeaus) und Bahnhof (nach links) und mit einigen seiner Autorinnen und Autoren im Rücken. Fotos: Bücheratlas

Herr Malchow, Sie geben die Verlagsleitung bei Kiepenheuer & Witsch zum Jahresende auf und werden „Editor at large“ – was macht man da so?

Ich gehe unter anderem dahin zurück, wo ich angefangen habe:  Zur Lektoratsarbeit, ich betreue weiter Autoren und Bücher, vor allem Autoren, mit denen ich auch schon bisher  als Lektor zusammen gearbeitet habe – beispielsweise Christian Kracht, Matthias Brandt,  Frank Schätzing, Joschka Fischer, Alice Schwarzer…

Sie wurden 1950 in der DDR geboren und sind dann im Rheinland aufgewachsen – wie hat Sie das Ostdeutsche und wie das Rheinische geprägt?

Was das Ostdeutsche betrifft, so ist da das Schicksal als Flüchtlingsfamilie prägend gewesen, sicher ein bisschen bis heute. Diese Grunderfahrung der Verunsicherung, die ich als Kleinkind mitbekommen habe, hat mich gegen herablassende Äußerungen über Flüchtlinge heute sensibilisiert, zum Beispiel erinnere ich mich an Anpassungsprobleme, die wir hatten, als wir, aus dem protestantischen Osten kommend, im katholischen Uedesheim bei Neuss gelandet sind.  Das hat mich bei aller Unvergleichbarkeit mit der Situation heutiger Flüchtlinge vor Empfindungslosigkeit gegenüber Menschen bewahrt, die sich heute weltweit auf den Weg machen.

Und was hat das Rheinland mit Ihnen gemacht?

Wenn man hier zur Schule gegangen ist und studiert hat, prägt einen das schon bis in die Sprachmelodie hinein. Überhaupt alles Positive und Negative, was dazugehört. Das Positive ist  der Humor, die Offenheit, die Neugierde, die emotionale Wärme, der Karneval. Aber wenn man viel im Ausland war, ich zum Beispiel in Italien oder New York, dann spürt man doch,  dass die rheinische Mentalität bisweilen zu gemütlich und zu selbstgenügsam ist. Auch wird hier nicht gerne scharf gedacht. Und wenn im Rheinland kulturelle Leistungen eine internationale Dimension bekommen, dann ist das – siehe Heinrich Böll –  eher die Ausnahme. Auch die Ängstlichkeit vor Konflikten, die es in Berlin nicht gibt, fällt auf.

Das hat bei mir sehr schnell zu einer Politisierung geführt

Sie haben dann in einer politisch sehr bewegten Zeit das Studium in Köln aufgenommen.

Mein erster Studientag begann 1969 damit, dass in der Universität gestreikt wurde und über dem Haupteingang ein Banner mit der Aufschrift: „Rosa-Luxemburg-Universität“ hing. Da war man quasi von der ersten Sekunde an in den 68er-Auseinandersetzungen. Das hat bei mir sehr schnell zu einer Politisierung geführt, die aber schon zu Schülerzeiten in Neuss begonnen hatte.

Sie  waren  aktiv in der DKP …

… aus der ich dann nach kurzer Zeit sehr zurecht ausgeschlossen worden bin, weil ich mich in der Lehrergewerkschaft GEW solidarisch erklärt hatte mit streikenden Arbeitern in Polen.

Damals wurde der Staat stark infrage gestellt. Wie blicken Sie heute auf Deutschland?

Mit einem großen Einverständnis. Ich stehe sicher in der Tradition der Aufklärung, auch für kritische Distanz  gegenüber unkontrollierter Herrschaft und Chancenungleichheit. Aber auf die totalitären ideologischen Verführungen von Teilen der 68er-Bewegung  schaue ich heute mit einer gewissen Scham zurück. Ich bin froh, dass ich den linken Dogmatismus der 70er Jahre hinter mir gelassen habe. Heute ist der Rassismus und Nationalismus zurück. Daher unsere Bücher gegen die neuen totalitären Gefahren von rechts, auch von islamistischer Seite, aber eben auch von links.

Wenn man auf Ihre Verlagsjahre schaut, dann gab es  wohl drei große, sehr unterschiedliche  Wendemarken: der Mauerfall, dann die Eingliederung des Verlags in den Holtzbrinck-Konzern und schließlich die Digitalisierung.

Ja, das stimmt, und ich würde auch noch die Terroranschläge von 2001 dazu nehmen, das Jahr, als ich Verleger wurde. Damals erschien zufällig „1979“ von Christian Kracht. Das Buch behandelt  fast prophetisch die Verführungskraft des religiösen Fundamentalismus, der mit einer unglaublichen Gewalt in die westliche Welt einschlug und uns seitdem nicht  mehr verlassen hat.

Sie sind nach dem Studium erst einmal Lehrer geworden. Wie gelang da der Sprung in den Verlag?

Ich war gerne Lehrer, merkte aber, dass ich das nicht mein Leben lang sein wollte. Dann gab es einen Kontakt zu Reinhold Neven Du Mont, dem damaligen Verleger. Als ich bei ihm im Verlag ein Volontariat machte, brachte es  der Zufall mit sich, dass gerade ein Lektor für das neu entstehende Taschenbuch-Programm gesucht wurde. Das ging dann zehn Jahre, danach war ich zehn Jahre Cheflektor – und danach Verleger. Eine lange Strecke.

Nach dem Mauerfall gab es Überlegungen, den Verlag von Köln nach Berlin  zu transferieren?

Wir haben darüber nachgedacht. Vor allem, als wir vor zehn Jahren aus dem angestammten Verlagssitz in Köln-Marienburg rausmussten, weil wir sehr gewachsen waren. Es war dann auch eine kulturpolitische Entscheidung zu sagen: Wir bleiben in Köln.

Worum ging es da?

Weil mir das Modell England oder Frankreich – mit den kulturellen Zentralen London oder Paris und drumherum  Provinz– nicht zusagt. Die Karten wurden damals ja in Deutschland neu gemischt. Der alte BRD-Föderalismus hatte immerhin eine große kulturelle Vielfalt. Und mittlerweile ist es aufgrund der Digitalisierung auch kein Problem mehr,  mit  Autoren, Buchhändlern oder Medien in Echtzeit weltweit zu kommunizieren. Allerdings sind wir alle sehr oft in Berlin, auch weil 80 Prozent unserer Autoren dort leben.

Wenn ein Buch verboten wird, ist das immer eine Herausforderung

Was waren die größten Herausforderungen Ihrer Verlagszeit?

Erst einmal 1989, als gegen die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie eine Fatwa verhängt worden war. Aber dann auch eine Reihe von juristischen Auseinandersetzungen. Wenn ein Buch verboten wird – wie „Esra“  von Maxim Biller, einer seiner besten Romane –, dann ist das für einen Verlag immer eine Herausforderung. Da ging es um die Verteidigung der Freiheit der Kunst. Oder die Debatte um Christian Krachts Roman „Imperium“, als  man dem Autor Rassismus unterstellt hat. Oder als „American Psycho“ von Bret Easton Ellis auf den Index, auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften gesetzt wurde.  Oder ein Rechtsstreit mit den Brecht-Erben, die dagegen klagten, dass Heiner Müller in einem seiner Texte ein Brecht-Gedicht zitiert hatte – da haben wir vom Bundesgerichtshof Recht bekommen, und das Zitatrecht wurde seitdem erweitert. Drastisch war aber auch der ganze, wie man so sagt, disruptive Digitalisierungsprozess im Verlagswesen. Und auch, dass wir in Berlin den Galiani Verlag gegründet haben, war ein historischer Einschnitt.

Hatten Sie bei alledem die Unterstützung von Holtzbrinck?

Immer und mit Nachdruck. Die Übernahme der Anteilsmehrheit durch die Holtzbrinck Holding im Jahre 2002 war ja identisch mit dem Beginn meiner Verlegertätigkeit.  Ich kann sagen: Das war in jeder Hinsicht die richtige Entscheidung, weil Verlage in einer mittleren Größe immer wieder mal gefährliche Situationen erleben können. Da ist es von Vorteil, Teil einer größeren Gruppe zu sein. Gottseidank haben wir uns wirtschaftlich von Anfang an sehr dynamisch weiterentwickelt. Aber Holtzbrinck war immer ein Faktor der Sicherheit und eine Adresse für wichtige Impulse.

Und Holtzbrinck hat nicht hineinregiert?

Das war nie der Fall.  Und ich fand den Austausch mit den anderen Häusern der Gruppe immer sehr inspirierend. Das war eine Win-Win-Situation.

Mit „Unendlicher Spaß“ haben wir Literaturgeschichte in Deutschland geschrieben

Auf welche Bücher sind Sie besonders stolz?

Das ist schwierig zu sagen. Aber mit „Unendlicher Spaß“  von David Foster Wallace haben wir in Deutschland mit Sicherheit Literaturgeschichte geschrieben. Dasselbe gilt für „Unterwelt“ von Don DeLillo. Aber auch der Welterfolg von Frank Schätzing „Der Schwarm“ etwa. Wichtig ist mir auch, dass wir bei KiWi die Türen aufgemacht haben für die populäre Kultur.

Es ist zuweilen von der KiWi-Kultur die Rede. Was ist das für Sie?

Wenn man eine Definition versuchte, würde man sagen: Dass wir neben die hochrangige deutschsprachige und übersetzte Literatur und das Sachbuch auch  populäre Themen gestellt haben. Wir gehörten zu den ersten in Deutschland, die sich der populären Musik geöffnet haben – mit Neil Young, Nick Cave, Patti Smith. Dann der Fußball – mit „Fever Pitch“ von Nick Hornby oder den Büchern von Christoph Biermann. Oder Helge Schneider. Oder Theaterbücher von Peter Zadek bis Leander Haußmann. Das ist eine Spezifik: Diese Lust an ambitionierten Büchern  über populäre Themen und von populären Autoren.

Welchen Eindruck haben Sie: Wie ist das Standing der Buchverlage in diesem Land?

Buchverlage haben immer noch einen sehr guten Ruf und sind Leuchttürme unserer Gegenwartskultur. Es gibt  kein Land auf der Welt, das eine so vielfältige Buchkultur hat wie Deutschland. Das hat mit dem Buchhandel zu tun, mit Lesungen, Festivals, Literaturhäusern, Preisen, aber auch mit den Verlagen.  Unsere großen Verlage sind  international  hoch angesehene Institutionen.

Sorgen Sie sich um die Lesekultur?

Ehrlich gesagt: nicht. Besonders bei der Qualitätskultur brauchen Bücher keine Angst vor der Zukunft zu haben –   egal ob digital oder analog. Das klassische Buch als Objekt legt eine gewisse Renaissance an den Tag. Das elektronische Medium hat dafür gesorgt, dass wir das gedruckte Buch wieder nicht nur als Datenspeicher wahrnehmen, sondern als ästhetisches Objekt.

Es gibt Verleger, die schreiben Romane und Gedichte. Reizt es Sie, künftig, wenn Sie nicht mehr in der ersten Reihe stehen, auch mal einen Roman zu schreiben?

Was ich nicht ausschließen kann, ist, dass ich über Themen, die mich interessieren, auch einmal etwas schreibe – über Literatur, Autoren, Politisches. Ich bin aber sicher: nicht literarisch.

Mit Helge Malchow sprach Martin Oehlen

http://www.ksta.de

Erster Tipp: Ein Gespräch mit Kertin Gleba, der neuen Verlegerin von Kiepenheuer & Witsch, finden Sie: hier.

Zweiter Tipp: Im Alten Pfandhaus in Köln sprach Helge Malchow mit Bettina Böttinger über seine Erfahrungen. Mehr dazu: hier.

2 Gedanken zu “Helge Malchow zieht Bilanz als Verleger von Kiepenheuer & Witsch

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