
Foto: Bücheratlas
Mensch oder Baum – was ist wichtiger? Gut, im Allgemeinen fällt die Antwort nicht so schwer. Fällt sie wohl auch Richard Powers nicht so schwer. Gleichwohl weist der US-Autor darauf hin, dass der Mensch aufhören sollte, sich für die einzige Besonderheit auf Erden zu halten. Es gilt, was er auch in seinem neuen Roman „Die Wurzeln des Lebens“ deutlich macht: Unterschätzt die Bäume, die Pflanzen nicht.
Der Weg von der Fiktion zu Realität ist zuweilen sehr kurz. So könnte der Kampf um den Hambacher Forst, der zwischen Naturschützern und Braunkohle-Förderern geführt wird, auch ein Kapitel in dem Roman sein. Powers selbst bekannte dies, als er jüngst auf Einladung des Literaturhaus Köln im VHS-Forum des Rautenstrauch-Joest-Museum las. Im Gespräch mit Christian Bos vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ wies er darauf hin, dass die Besetzung von Bäumen, wie sie auch in seinem Roman vorkomme, ein Mittel zur Bewahrung der letzten Wälder sei, sofern diese nicht mehr vom Gesetz geschützt werden.
Insofern kann man den jüngsten Powers-Roman auch als Anleitung, zumindest aber als Ermutigung lesen, sich einzumischen, wenn es um existenzielle Naturfragen geht. In diesem Zusammenhang verwies er auf einen Essay des Naturschriftstellers Henry David Thoreau (1817–1862): „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. Wenn das Gesetz ungerecht sei, sei dort zu lesen, dann habe der Bürger nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, einzuschreiten. Mahatma Gandhi sei davon inspiriert worden. Auch steuerte Powers eine einschlägige Anekdote bei. Die handelt davon, dass Thoreau einmal wegen der Weigerung, Steuern zu zahlen, im Gefängnis landete. Als ihn dort sein Kollege Ralph Emerson (1803-1882) besuchte, fragte der: „Henry, was machst du da drinnen?“ Worauf Thoreau erwiderte: „Ralph, was machst du da draußen?“
Wie aus Powers, 1957 in Illinois geboren, ein Autor wurde, kam in Köln auch zu Sprache. Das Erweckungserlebnis ereignete sich beim Museumbesuch in Boston, als dort die erste Retrospektive des fotografischen Werks von August Sander in den USA gezeigt wurde. Gleich das erste Bild habe seine Welt verändert: Da nämlich blickte Powers in die Gesichter von drei Jungbauern im Sonntagsstaat. Ein Foto aus dem Jahre 1914. Und ihm sei schlagartig aufgegangen: Diese frohgemut dreinschauenden jungen Männern sind nicht auf dem Weg zum Tanz, sondern auf dem in den Ersten Weltkrieg.
Der „Schlag“ hat Powers an einem Samstag getroffen. Am darauffolgenden Montag hat er seinen Job gekündigt und sich auf sein Debüt konzentriert. Der Roman erschien 1985: „Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz“. „Die Wurzeln des Lebens“ ist mittlerweile sein zwölfter Roman.
Martin Oehlen
Richard Powers: „Die Wurzeln des Lebens“, dt. von Gabriele Kempf-Allié und Manfred Allié, 624 Seiten, 26 Euro. E-Book: 22,99 Euro.