
Die Welt, in die sich Johann Friedrich von Allmen dienstlich begeben muss, ist zuweilen wenig fein. Umso mehr liebt es der distinguierte Privatdetektiv, wenn das Ambiente gepflegt ist, in dem er sich privat aufhalten darf. Fotos: Bücheratlas
Es darf frohlockt werden. Denn hier geht es um einen neuen Roman von Martin Suter und einen neuen Fall für und um Johann Friedrich von Allmen, die beide rundum geglückt sind. Nicht dass uns die letzten beiden Bände um den kultivierten Lebemann gelangweilt hätten. Doch bei diesem nun insgesamt fünften Fall geht es nicht überambitioniert zu. Nicht meint man, die Anstrengung zu spüren, die das Tüfteln und Feilen am Text erfordert haben. Vielmehr ergänzen sich in „Allmen und die Erotik“ Finesse und Witz, Logik und Spannung vortrefflich, so dass dem Leser ein Lesevergnügen bereitet wird. Im besten Sinne atmet dieser Krimi, der eher eine Gesellschaftssatire ist, den Charme der alten Krimiwelt: Es ist ein gleichermaßen entspanntes wie souveränes Erzählen.
Muss man den Privat-Detektiv Allmen noch vorstellen, dessen Ermittlungen auch schon verfilmt worden sind? Er ist der Mann des guten Benehmens, ein „Allesleser“ und Kunstliebhaber. Er lebt gerne auf großem Fuße und weiß, welcher Champagner am besten zu einem Erdbeer-Toast passt. Daher stört es erheblich, wenn er mal wieder knapp bei Kasse ist. Das ist dann auch eine Ausgangs-Fatalität im neuen Fall.
Schon so weit ist es mit ihm gekommen, dass er sich von seinem treuen guatemaltekischen Mitarbeiter Carlos aushalten lassen muss. Unangenehm ist das, keine Frage! Da passiert es: Allmen lässt sich zu einem Diebstahl hinreißen. Und wird auf frischer Tat ertappt. Plötzlich hat ihn Wilhelm „Bill“ Krähenbühler, der Experte von der Sicherheitsfirma „Allsecur“, in seiner Hand. Der wittert eine Gelegenheit: Mit Allmens Hilfe will er ein paar Franken auf sein Konto lenken. Auch das: alles andere als astrein.
Allmen weiß, wie gesagt, was sich gehört. Nicht nur bei Tische. Also grämt er sich ein wenig über den Diebstahl, bei dem er erwischt wurde. Der Entschluss, „seine Durststrecke auf diese Weise zu überbrücken“, sei ihm alles andere als leicht gefallen, lesen wir. Doch der moralische Skrupel, der sich da meldet, hat eher die Intensität eines emotionalen Hauchs. Viel schlimmer ist bald schon die Abhängigkeit von Krähenbühler, die ihn zu einigen Verrenkungen veranlasst: „Er hatte sich lächerlich gemacht vor der Person, die zur Erhaltung seines Selbstbewusstseins am maßgeblichsten war: sich selbst.“
Nun soll der Fall hier selbstverständlich nicht in seinen Wendungen verraten werden. Doch soviel kann noch mitgeteilt werden: Es geht um Meißner Porzellan aus der meisterlichen Hand von Johann Joachim Kändler. Die Besonderheit: Die zerbrechlichen Werke warten mit erotischen Spielereien auf – „Frauenfiguren, die so zusammengefügt waren, dass sie sich entblößen ließen.“ Das Interesse daran ist groß bei allen, die den Wert kennen. Bei Sammlern und Hehlern, bei neuen und alten Besitzern. Und der Videobeweis funktioniert in dieser Geschichte besser als in einem Bundesliga-Stadion.
Immer dann, wenn es nicht um die Kriminalsache geht, also um Diebstahl, Täuschung und Erpressung, dann handelt der Roman von Leib und Seele. Ein Tee der Marke Lapsang Souchong, ein Negroni als Apéritiv, das kolumbianische Gericht Ajiaco Santafereno, das Maria anrichtet, die dritte im Allmen-Bunde – das reizt die Geschmacksnerven nicht wenig. Zudem kommt Allmens Innenleben zur Sprache: seine liebenswerte Selbstgenügsamkeit, dann auch Schwermut, Angst, Liebeskummer. Und die Vorstellung, viel besser zu Zeiten des Rokoko aufgehoben gewesen zu sein, als Eleganz und Förmlichkeit noch viel stärker geschätzt wurden. All das lässt die Geschichte wunderbar simmern. Ein Genuss – aber das haben wir ja schon gesagt.
Martin Oehlen
Martin Suter: „Allmen und die Erotik“, Diogenes, 272 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.