
Özlem Özgül Dündar bei ihrer Lesung im Kölner Literaturhaus. An ihrer Seite: Moderator Gerrit Wustmann. Fotos: Bücheratlas
Die Schreckensnacht von Solingen hat sich in Özlem Özgül Dündars Erinnerung fest eingeschrieben. Sie selbst stand 1993 vor dem abgebrannten Haus, als sie zehn Jahre alt war, und hörte, wie die Erwachsenen über den rechtsextremistischen Brandanschlag sprachen, bei dem fünf Menschen türkischer Herkunft ums Leben gekommen waren. Von dieser Mordtat handelt auch ihr Roman-Projekt „Und ich brenne“, für das sie den Rolf-Dieter-Brinkmann-Förderpreis der Stadt Köln erhalten hat. Nun stellte sich die Autorin im voll besetzten Kölner Literaturhaus vor.
Wie aktuell ihr Romanthema ist, wurde im Gespräch mit Moderator Gerrit Wustmann sofort offenbar. Ohne Punkt und Komma, immer auf der Suche nach den richtigen Worten, erzählen vier Mütter von dieser Nacht, auch die Mutter eines der Täter. Diese monologische Struktur, erläuterte Dündar, sei auch darauf zurückzuführen, dass der Text ursprünglich als Theaterstück geplant gewesen sei. Doch dann stellte sich heraus, dass das Material viel zu umfangreich für die Bühne war. Wichtig sei es ihr beim Schreiben gewesen, sagt sie, dass die Figuren für sich stehen: „Man soll nicht meine Stimme aus ihnen heraushören.“
Einen ganz eigenen Ton schlägt Dündar auch in ihren Gedichten an, die in dem schmalen Band „gedanken zerren“, der in dem Nettetaler Elif Verlag erschienen sind. Nicht nur die fehlenden Satzzeichen und die konsequente Kleinschreibung fallen auf. Auch ersetzt Dündar die Wörter „und“ und „nicht“ immerzu durch „u“ und „n“. Das wirkt zunächst manieriert, aber dann doch erfolgreich irritierend – diese Stellen gleichen Stolpersteinen, die erhöhte Wachsamkeit anmahnen. Nicht zuletzt sind die Gedichte im Blocksatz gesetzt, so dass manchmal ein Wort nach nur einem Buchstaben endet und in der folgenden Zeile fortgeführt wird, dabei alle Trennungsregeln missachtend. Eine Anregung dazu, erzählt sie, habe sie in den Gedichten von Barbara Köhler gefunden. So kann der Leser nun bei Dündar den Eindruck gewinnen, dass das lyrische Ich ausbrechen möchte, aber immer wieder gegen die unsichtbaren Wände prallt. Zunächst waren die Textblöcke noch schmaler gestaltet, sagt sie, wodurch die Wörter sehr stark zerstückelt wurden. Aber dann habe man ihr gesagt, dass solch ein Text nicht mehr lesbar sei.

So sieht lyrischer Blocksatz aus: Blick in den Gedichtband „gedanken zerren“ von Özlem Özgül Dündar, der im Elif Verlag erschienen ist.
Schließlich kam Dündar, die auch Gedichte aus dem Türkischen übersetzt, auf ihre Essays zu sprechen. Gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen befasst sie sich darin aktuell mit „Rassismus im Literaturbetrieb“. Kein Mensch, meint Dündar, sei frei von Vorurteilen: „Es ist schwierig, immer reflektiert zu sein, wenn man damit aufgewachsen ist.“ Doch gelte es, stets aufs Neue darauf aufmerksam zu machen. Was ebenso für den Rechtsradikalismus im Allgemeinen gelte. Ob man schreibend dagegen ankomme? Das sei nicht gewiss. „Aber es ist falsch, nichts zu machen.“ Und damit meint sie ausdrücklich nicht nur die Autoren, sondern jeden Bürger wachen Geistes.
Das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium, so sagte es der Literaturhaus-Vorsitzende Ulrich Wackerhagen zur Einführung, verschaffe den jungen Autoren den notwendigen Freiraum fürs Schreiben. Und Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach betonte in ihrer Begrüßung, dass sich gerade das Literaturhaus „ganz außerordentlich um diese Szene verdient gemacht“ hat. Darüber hinaus stellte sie fest, dass die Kölner Literaturszene „immer lebendiger, immer vielfältiger“ werde . Abende wie diese bestätigen den Eindruck aufs Schönste.
Martin Oehlen
Özlem Özgül Dündar: „gedanken zerren“, Elif Verlag, 58 Seiten, 12 Euro.