
Michael Ondaatje (Mitte) mit Moderatorin Julika Griem und Sprecher Ulrich Noethen im WDR-Sendesaal in Köln Fotos: Bücheratlas
Vom „Fantasma der Reinigung“ war erst ganz am Schluss die Rede. Also von der Angst vor dem Fremden, welche die Populisten weltweit schüren, nicht zuletzt solche, die selber oder deren Vorfahren einst als Fremde in ihre neue Heimat gezogen sind. Michael Ondaatje, der großartige Autor von Weltliteratur, konnte in Köln nur verständnislos den Kopf schütteln, als er zum Auftakt der diesjährigen Spezial-Ausgabe der lit.Cologne darauf zu sprechen kam. Der Schriftsteller – 1943 in Sri Lanka geboren, als Jugendlicher in England aufgewachsen, 1962 nach Kanada emigriert und seit 1965 kanadischer Staatbürger – weiß ja durchaus, was Migration bedeutet.
Ondaatje schildert in seinem neuen Roman „Kriegslicht“ nicht zuletzt, wie wichtig gerade die Gemeinschaft mit zunächst einmal fremden Menschen sein kann, denen man sich anvertraut. Zwar ist die Familie des Erzählers zerfasert, doch findet sich für ihn eine Familie der anderen Art. Der Junge namens Nathaniel mag verwaist sein, ist aber nicht verloren. Ein Gedanke, der sich auch in „Der englische Patient“ (1992) finden lässt, seinem größten Erfolg, der kürzlich mit dem Golden-Man-Booker-Preis ausgezeichnet worden ist – als Preisträger der Preisträger.
Beim Kölner Auftritt las Ulrich Noethen den deutschen Text. Er tat dies ähnlich zurückgenommen wie der Autor bei seinen wenigen englischen Textproben. Zwischen diesen Leseblöcken konzentrierte Moderatorin Julika Griem das Gespräch strikt auf die Roman-Analyse. Und Ondaatje gab bereitwillig Auskunft. Über die Windhunde, die im Nachkriegs-England geschmuggelt wurden und die ihm im realen Alltag vorkommen wie Stummfilmstars: kapriziös und aus einer fernen Zeit stammend. Über die Notwendigkeit, im Roman auch mal den Gang zu wechseln wie bei einer Autofahrt. Über Jazzmusiker, deren individuelle Improvisationen sich zu einem Ganzen fügen wie die Teile einer Erzählung zu einem Roman. Über die Recherche für den Handlungsort von „Kriegslicht“, bei der er solange ein Haus in einer Londoner Straße fotografiert habe, bis die Anwohner besorgt aus den Fenster schauten. Ein Dieb, ein Spion vor der Haustüre? Nein, nur ein Autor auf der Suche nach Inspiration.

Weise Voraussicht: Einige Exemplare seines neuen Romans hatte Michael Ondaatje schon vor der Lesung im Hotel signiert. Nach der Veranstaltung stand er allerdings für weitere Unterschriften zur Verfügung.
In Köln ist Michael Ondaatje schon „mindestens fünfmal“ auf Einladung der Buchhandlung Klaus Bittner aufgetreten. Der Buchhändler, der beim jüngsten Ondaatje-Gastspiel Kooperationspartner der lit.Cologne war, erinnert sich: Bei der Premiere in den 80er Jahren – da ging es um den Roman „In der Haut eines Löwen“ – trat Ondaatje noch vor 30 Personen auf. Der Zulauf ist seitdem, wie im voll besetzten Sendesaal des WDR zu sehen war, massiv gestiegen.
Martin Oehlen
Michael Ondaatje: „Kriegslicht“, dt. von Anna Leube, Hanser, 320 Seiten, 24 Euro. E-Book: 17,99 Euro.
Ich habe Ondaatje in Hamburg gesehen, und vermisse Berichte über die anderen Stationen seiner Lesereise in der Bloglandschaft. Vielen Dank hierfür!
Liebe Grüße
Christiane
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Sehr gerne! Starker Autor, kluger Mann. Herzlich, M.
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