Mit Samuel Beckett in Roussillon – Reisenotizen aus Südfrankreich (2)

 

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Der Plan, der zum ehemaligen Beckett-Wohnsitz führt. Der befindet sich zwischen dem „Village“ und dem blauen Parkplatz-Hinweis. Das Haus steht auf einem kleinen Hügel am Stadtrand (siehe unten). Fotos: Bücheratlas.

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„Das Haus von Samuel Beckett? Das gib es noch. Aber es ist in Privatbesitz. Das kann man nicht besichtigen.“ Die Dame im Informationsamt von Roussillon wirkt nicht begeistert über das Interesse an dem großen Iren. Aber das Haus, in dem der Dramatiker gegen Ende des Zweiten Weltkriegs untergekommen ist, auf der Flucht vor den Nazis, markiert sie dann doch mit Kugelschreiber im Stadtplan der schönen Ockerstadt. An einer der Ausfallstraßen liegt das Gebäude. Nicht im typischen Rot der Gemeinde, die im Zeichen der warmen Farbe steht.  Sondern hell und mit grünen Akzenten. Als wir dort Halt machen, wirkt das Haus auf dem Hügel verlassen. Keine Plakette zeugt von dem einst hier darbenden und heute weltweit berühmten Autor. Überhaupt gibt es in der Stadt keinen für den Tagesbesucher leichthin erkennbaren Hinweis auf den literarischen Giganten – also, wir jedenfalls haben keinen gefunden. Andere, die in früheren Jahren unterwegs waren, überlieferten Berichte von Zeitzeugen: Beckett habe da gearbeitet, Beckett habe dort gewohnt, Beckett habe dies gesagt und solcherart ins Leere geguckt. Aber wir haben niemanden getroffen.

Dabei hielt sich Beckett hier zwei Jahre auf. Als Mitglied der Résistance war er, gemeinsam mit Suzanne Deschevaux-Dumesnil, den Nazis und ihren Verbündeten in Frankreich nur knapp entkommen. Über seine Zeit in Roussillon weiß man einiges, aber längst nicht viel. Exemplarisch weist die Suhrkamp-Ausgabe der Briefe für diese Jahre eine Leerstelle auf – verständlicherweise. Der Ire Beckett kämpfte hier, im „freien“ Frankreich, zunächst um seine Reisefreiheit, die ihm erst nach langem Hin und Her gewährt wurde. Nicht zuletzt musste er, so teilte er es selber mit, den französischen Behörden mehrmals erklären, warum er Samuel heiße, obgleich er doch kein Jude sei. Dann ging es ihm ums schlichte Überleben. Darum, dass sein Einsatz für die Résistance geheimblieb; und darum, dass es für Suzanne und ihn genug zu essen gab. Er verdingte sich als Hilfskraft beim Weinbauern Bonnelly und beim Landwirt Aude, spielte Schach mit dem Maler Henri Hayden und schrieb an seinem Roman „Watt“. Dessen strenge Form gilt Beckett-Experten als Ausdruck des Versuchs, dem real existierenden Chaos eine souveräne Ordnung entgegenzusetzen.

Als im August 1944 die Amerikaner das Dorf erreichten, paradierten die Kämpfer der Résistance, die hier Maquisten heißen, durch die wenigen Straßen des Dorfes. Ob Beckett als Fahnenträger vorwegzog, wie es bei Friedhelm Rathjen zu lesen ist, oder ob er mit gesenktem Kopf und ohne Gewehr, düster und schweigsam am Ende ging, wie es die Amerikanerin Deirdre Bair geschrieben hat – wir wissen es nicht. Der  Beckett-Vertraute James Knowlson führt in seiner großen Biografie den Autor überhaupt nicht als Teilnehmer der Siegesparade an,  weder vorneweg noch hintendran.

Aber da wäre noch etwas! Pierre und Valentine Temkine haben vor zehn Jahren darauf hingewiesen, dass „Warten auf Godot“, der Beckett-Klassiker schlechthin,  nicht so völlig losgelassen im Metaphysischen unterwegs ist wie viele annehmen. Sie sehen Wladimir und Estragon als jüdische Flüchtlinge, die im Jahre 1943 im „freien“ Frankreich auf Fluchthelfer warten, die sie ins sichere Ausland bringen sollen. Es ist dies die Situation, die Beckett aus Roussillon vertraut war, wohin nicht nur er vor den Nazis geflohen war.  Zahlreiche andere waren dort ebenfalls gestrandet, darunter sein Schachpartner Hayden. Bei Beckett scheut man sich, das Biographische im Werk zu strapazieren, aber man sollte auch nicht die Augen vor dem Offensichtlichen verschließen. So werden in „Warten auf Godot“ das Vaucluse-Gebirge, der Weinbauer Bonnelly und das Dorf Roussillon ausdrücklich erwähnt. Im französischen Original legt Wladimir seine Hand dafür ins Feuer, dass er mit Estragon schon einmal dort gewesen sei – „chez un nommé Bonnelly, à Roussillon“. In der deutschen Fassung von Elmar Tophoven wird daraus zwar der Winzer Guttmann in Dürkweiler im Breisgau. Doch das ändert nichts daran: Roussillon ist eng mit einem der größten Werke des modernen Theaters verbandelt. „Da leuchtet doch alles so rot“, sagt Wladimir. Tatsächlich meinte er wohl: so ockerfarben.

Martin Oehlen

 

Samuel Beckett: „Warten auf Godot – En attendant Godot – Waiting for Godot“, dreisprachige Ausgabe, ins Deutsche übersetzt von Elmar Tophoven, Suhrkamp, 246 Seiten, 8 Euro.

Beckett

2 Gedanken zu “Mit Samuel Beckett in Roussillon – Reisenotizen aus Südfrankreich (2)

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