Mit Frédéric Mistral durch die Provence – Reisenotizen aus Südfrankreich (3)

 

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Denkmal für Frédéric Mistral auf der Place du Forum in Arles Foto: Bücheratlas

Vor dem Denkmal auf der schönen-kleinen-zentralen Place du Forum in Arles sagt ein amerikanischer Tourist zu seiner Begleiterin: „Guck mal, was der für einen Mantel trägt – das muss ein bedeutender Mann sein.“ Frédéric Mistral (1830 – 1914) – schon mal gehört? Nobelpreisträger von 1904. Kurioserweise gibt es den Nachnamen noch einmal auf der Stockholmer Preis-Liste: Gabriela Mistral, die Chilenin, ein paar Jahrzehnte später ausgezeichnet.

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Mistrals Verse über die Liebe eines Provenzalen zu seiner Heimat – in Stein gehauen und an Felsen fixiert in Moustiers-Sainte-Marie. Foto: Bücheratlas

Mistral, der Franzose, begegnete uns auf dieser Reise erstmals in Moustiers-Sainte-Marie, einem der offiziell schönsten Dörfer des Landes (von denen es nicht wenige gibt). Auf einer Tafel im Fels, auf dem Weg hinauf zur Kapelle Notre-Dame de Beauvoir, sind einige Verse von ihm zu lesen. Sie erzählen auf Provenzalisch vom Bekenntnis des Kreuzritters Blacas zu seiner Heimat, also zur Provence. Eine französische Übersetzung des Textes ist darunter etwas kleiner eingemeißelt. Blacas, 1210 als Gefangener unter der Sonne der feindlichen Sarazenen schmorend, verspricht der Jungfrau Maria für den Fall, dass er seine Heimat wiedersähe, dort ihr zu Ehren einen Stern aufzuhängen – an seinen Ketten aus der Gefangenschaft. Er sah die Heimat wieder. Und nun hängt quer über dem Tal eine Kette, in deren Mitte ein goldener Stern funkelt. Mistrals Geschichte ist allerdings nur eine Version, warum über dieser Gebirgsstadt der goldene Stern nie untergeht.

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Klein, aber klar: Mistral-Tafel über der Bäckerei in Greoux les Bains.  Foto: Bücheratlas

Als wir am selben Tag, Stunden später, in Greoux les Bains in einer Bäckerei einkaufen, ist über dem Eingang ein Porträt von Mistral eingelassen. Mit schmucker  Fliege am Hals und mit dem langem, schmalen Kinnbart, der wie ein Fingerabdruck für Mistrals Identität genommen werden kann. In Greoux, so ist unter dem Mosaik zu lesen, habe er zwei Jahre gelebt. Und als wir danach auf dem Markt noch eine Pastete kaufen, artikuliert der Händler so schön hell und knapp sein „bien“ wie es eben nur die Provenzalen vermögen. Frédéric Mistral, der offensiv und zumal als Anführer der Félibrige-Bewegung für die Pflege der provenzalischen Kultur und Mundart kämpfte, hätte es gewiss gerne gehört.

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Noch ein Missionar des Provenzalischen: Charloun Rieu auf der Bergkuppe von Les Baux Foto: Bücheratlas

Auf Mistrals Spuren ließe sich leicht die Provence erkunden. Sein Einsatz für alles Provenzalische ist vielerorts Anlass, ihn zu preisen. Doch hat er nicht allein gekämpft. Das erfahren wir auf dem Areal der Schlossruine von Les Baux – ja, als Bauxit noch elementar war fürs Aluminium, war es die große Zeit der Gemeinde. Hier begegnen wir zum ersten Mal Charloun Rieu (1846 – 1924) aus dem Ort Paradou. Deshalb auch bekannt als „Charloun dou Paradou“, wie die Informations-Tafel neben dem Denkmal mitteilt. Sein bekanntestes Werk in drei Bänden: „Li Cant dóu Terraire“, Gesänge der Gegend, aus dem Jahr 1897.

Hier oben auf dem Schlosshügel soll im Mittelalter ein Zentrum des Minnesangs, ein „Liebeshof“ gewesen sein. Doch die Präsentation für die Besucher zielt auf die militärische Bedeutung der großflächig angelegen Festung. Regelmäßig wird die Funktionsweise der Katapulte demonstriert, mit denen man sich der Feinde zu erwehren versuchte. Der Rammbock allerdings, der im Mittelalter  zum Eindringen in eine gesicherte Anlage hilfreich gewesen sein mag, macht hier wenig Sinn.

Vom Burgrand aus hat man einen Blick auf das „Höllental“, in dem Mistrals Langgedicht „Mireio“ spielt. Eine tragische, religiös grundierte Liebesgeschichte zwischen reichem Bauernmädchen und armem Handwerkersohn in zwölf Gesängen. In den Anmerkungen zu diesem 1859 vollendeten Werk erinnert Mistral daran, dass sich einst auch Dante Alighieri (1265 – 1321) in der Region („dans nos contrées“) aufgehalten habe.  Wer nun diese „zyklopischen, fantastischen“ Kalkstein-Formationen betrachte, der könne nicht daran zweifeln, dass der Florentiner von „dieser grandiosen Trostlosigkeit“ zu seinem Überwerk inspiriert worden sei: Das höllengleiche Amphitheater sei  die Vorlage für Dantes „Göttliche Komödie“ gewesen. Und zwar für die Abteilung „Inferno“.

Martin Oehlen

 

Frédéric Mistrals „Mireio“ ist auf Deutsch derzeit nur antiquarisch zu erwerben.

Dante Alighieris „Göttliche Komödie“ findet sich auf Deutsch in vielen Ausgaben, Übersetzungen und Preiskategorien – vom Reclam-Heft für 11,80 Euro über die schöne deutsch-italienische Kassette (drei Bände) des Reclam-Verlags für 89 Euro oder auch mit den Illustrationen von William Blake bei Taschen für 30 Euro oder in der Pracht-Variante für 100 Euro. Andere  Editionen mehr sind zu finden.

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