„Demokratie ist kein sanftes Ruhekissen“: Christoph Nonns brandaktuelle Geschichte der Stadt Köln in der Weimarer Republik

Heinrich Hoerles Gemälde „Zeitgenossen“ aus dem Jahre 1931/32 versammelt einige Persönlichkeiten der Stadt: Karnevals-Sänger Willi Ostermann (von links nach rechts), Oberbürgermeister Konrad Adenauer, Schauspielerin (und Hoerle-Ehefrau) Gertrud Alex, Boxer Hein Domgörgen und den Künstler selbst mit rot-weißem Fähnchen in der linken Hand. Foto: © Rheinisches Bildarchiv 

Aller Ehren wert ist die Reihe „Geschichte der Stadt Köln“, deren erster Band vor 20 Jahren erschienen ist. Ja, ihr hoher Qualitätsstandard in Text und Gestalt ist bekannt. Doch nie und nimmer wäre damit zu rechnen gewesen, dass dieses von Werner Eck im Auftrag der Historischen Gesellschaft Köln herausgegebene Standardwerk einmal tagespolitische Aktualität gewinnen könnte. Genau das ist nun der Fall im 12. und vorletzten Band, der sich mit „Köln in der Weimarer Republik“ befasst.

„Indifferenz der Mehrheit“

Christoph Nonn, der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Neueste Geschichte lehrt, wägt viele Gründe ab, warum der demokratische Aufbruch vor 100 Jahren so katastrophal gescheitert ist – katastrophal deshalb, weil darauf der Nazi-Terror folgte mit Weltkrieg und Holocaust. Die Demokratie, so fasst es der Historiker zusammen, ging nicht allein an der Gegnerschaft einer radikalen Minderheit zugrunde, „sondern mindestens ebenso sehr an der Indifferenz und politischen Verantwortungslosigkeit der Mehrheit“.  An jenen Bürgerinnen und Bürgern also, die eine Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens nicht als ihre eigene Aufgabe verstanden.

„Demokratie ist kein sanftes Ruhekissen, auf dem man es sich gemütlich machen kann“, schreibt Christoph Nonn. Vielmehr sei sie eine Dauerbaustelle und immer gefährdet. „Schon allein deshalb war und ist die Geschichte des ersten demokratischen Experiments der Deutschen nicht nur von antiquarischem Interesse und wird es nie sein.“

Verkehrsknotenpunkt Heumarkt um 1920 Foto: Kölner Foto Archiv, http://www.koelnerfotoarchiv.de

Fataler Irrtum

Eine Weile, zumal zwischen 1924 und 1929, habe das „Produkt“ der demokratischen Parteien gefallen. Doch dann wendeten sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger den Nationalsozialisten oder Kommunisten zu. „Dabei gingen sie von der falschen Erwartung aus, dass die Alternative zum demokratischen Angebot sich wie diese bei Nichtgefallen ebenfalls umtauschen lassen würde.“ Das habe sich dann als fataler Irrtum herausgestellt.

Wer möglicherweise der Ansicht ist, dass Köln für die Nationalsozialisten ein schwieriges Terrain gewesen sei, wird von den Fakten eines Besseren belehrt. Die NSDAP, die 1925/26 in der Stadt knapp 500 Mitglieder hatte, steigerte diese Zahl bis 1930 auf über 3000. Und ein Jahr später waren es mehr als 10.000 Kölner, die ein „braunes“ Parteibuch hatten. Im Wahljahr 1932 trat Adolf Hitler gleich dreimal in Köln auf – so im März vor 35.000 Menschen in der Messe. Viele Kölnerinnen und Kölner, erläutert der Autor, hätten die Machtübernahme der Nazis nicht als epochalen Einschnitt begriffen. Sie glaubten, schreibt er, „der Spuk“ sei bald vorbei. Und wie steht es um einen möglichen „Spuk“ in unseren Tagen – wie in Deutschland, wie in den USA, wie an vielen anderen Orten?

Die „neue Frau“ der Weimarer Republik, hier am rechten Rheinufer posierend, neigte zur Kurzhaarfrisur – zum Pagenkopf oder Bubikopf. Foto: Kölner Foto Archiv, http://www.koelnerfotoarchiv.de

Neuer Blick auf die Quellen

Lange hat die Ansicht dominiert, dass die Weimarer Republik „von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen“ sei – als „eine Republik ohne Republikaner, eine Demokratie ohne Demokraten“. Insbesondere die Inflation zu Beginn der 1920er Jahre wurde häufig als Brandbeschleuniger angesehen. Dieses Bild freilich sei von der neueren Forschung „gründlich revidiert“ worden, stellt Christoph Nonn fest. Dabei habe ein veränderter Blick auf die Quellen geholfen.

Statt sich wie bisher auf die Aussagen der (schreibfreudigen) Eliten zu konzentrieren, die aufgrund finanzieller Verluste die „neuen Zeiten“ beklagten, seien mittlerweile auch die Reaktionen der „einfachen Leute“ untersucht worden, die die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. In ihren Reihen habe lange eine „optimistische Grundhaltung“ vorgeherrscht. Die große Verunsicherung brach sich erst Bahn aufgrund der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929. Davon profitierten die radikalen Parteien, die KPD und die NSDAP – „und die jüdische Minderheit erlebte jetzt in wachsendem Maße Anfeindungen und Ausgrenzungen“.

Rütteln am Adenauer-Denkmal

Für Köln also waren die Jahre der Weimarer Republik zunächst eine Zeit des Aufbruchs. Die Stadt „bekam eine neue Universität, neue Sportstätten, einen neuen Hafen und den Grüngürte“. Vielfach ist in diesem Zusammenhang von der „Adenauerzeit“ die Rede. Doch Christoph Nonn rüttelt am Denkmalssockel. Er meint: Die Neuerungen in der Kommune allein dem legendären Oberbürgermeister (und späteren Bundeskanzler) Konrad Adenauer zuzuschreiben, sei „fragwürdig“.

Zwar sei das Bild vom alleinigen Schöpfer des „neuen Köln“, das Adenauer selbst in den 1920er Jahren entworfen habe, oft kopiert worden. Auch habe seine politische Karriere nach 1945 diese „Legende“ zementiert. Doch wenn man genauer hinsehe, werde deutlich, dass Konrad Adenauer „niemals als alleiniger Platzhirsch auf weiter Flur“ gestanden habe. Schon gar nicht habe er bei seinem Amtsantritt als OB einen Masterplan für die Erneuerung Kölns zur Hand gehabt.

Konrad Adenauer als Oberbürgermeister der Stadt Köln im Jahre 1924 Foto: Archiv Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus / Eugen Coubillier

Premierenflug am Butzweilerhof

Christoph Nonns Untersuchung, die mit zahlreichen bislang unveröffentlichten Fotografien auftrumpft, zielt auf eine breite Leserschaft. Sein Stil ist frisch und zugänglich – und wo sich eine Pointe anbietet, platziert er sie. So lesen wir, dass die offizielle Einweihung des Butzweilerhofs im Mai 1926 erfolgte – „passenderweise am Himmelfahrtstag“. Einen Monat zuvor hatte die Deutsche Luft Hansa AG den Flugbetrieb aufgenommen. Allerdings gab es schon zuvor eine zivile Luftfahrt, die jedoch von der britischen Besatzungsmacht betrieben wurde. Nachdem am Butzweilerhof zunächst nur Militärmaschinen gesichtet wurden, startete im Oktober 1922 erstmals eine Maschine der Instone Airline Limited (woraus später British Airways wurde) von Köln nach London.

Es geriet vieles in Bewegung. Auch das Radio lebte auf. Ernst Hardt, der legendäre erste Intendant des WDR, hatte zuvor das Kölner Schauspiel geleitet. Als Konrad Adenauer ihn für den Funk ins Gespräch brachte, bekannte Hardt, „keine Ahnung“ davon zu haben. So erstaunt es nicht, dass Misstöne die erste Übertragung der Westdeutschen Rundfunk AG bestimmten. Zwar gab sich das Rundfunk-Orchester alle Mühe. Doch die Technik war der Musik nicht gewachsen. Ohrenzeugen bezeichneten die Sendequalität als „ganz miserabel“.

Ein Flugzeug über der Stadt: Die Junkers F 13 transportierte im Jahre 1928 vier Passagiere von Berlin nach Köln. Foto: Kölner Foto Archiv, http://www.koelnerfotoarchiv.de

„Och wat wor dat fröher schön“

Was man nicht alles über den Alltag erfährt! Boxen verbuchte einen „kometenhaften Aufstieg“, Radrennen zogen Menschenmengen an, und Cilly Aussem war der weibliche Star des „elitären“ Tennissports. Die Fußballbegeisterung hingegen lief sich erst allmählich warm. Sonst noch was? Willi Ostermann stieg zum „wohl populärsten Komponisten und Sänger“ der Stadt auf. Für die Revue „Die Fastelovendsprinzessin“ schrieb er 1930 einen seiner größten Hits: „Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia“.

Christoph Nonn spiegelt seine Geschichte der Weimarer Republik immer wieder in den Biografien von Zeitgenossen. Zumal ist dies bei Bruno Kisch der Fall, dem renommierten jüdischen Kardiologen, der vor den Nazis in die USA fliehen musste. Weitere Erinnerungsberichte steuern der Literaturwissenschaftler Hans Mayer bei oder Rosa Maria Ellscheid, die an der neugegründeten Universität studierte und nach dem Zweiten Weltkrieg als Sozialdezernentin beim Regierungspräsidenten Köln arbeitete. Ebenso kommt der Zeitungs-Redakteur Otto Brües zu Wort, der die Lebensmittelpreise beklagt, oder die Künstlerin Luise (Louise, Lou) Straus-Ernst, die als Vertreterin der „neuen Frau“ vorgestellt wird und die im KZ Auschwitz ermordet worden ist.

Was das Leben der jüdischen Bevölkerung im katholischen Köln betrifft, zeichnet Christoph Nonn für die ersten Jahre der Weimarer Republik ein überraschend entspanntes Miteinander. Zwar habe es unter Heranwachsenden einschlägige Schimpfwörter gegeben, doch die hätten auch andere Bevölkerungsgruppen zu hören bekommen. „Um die Mitte der 1920er Jahre malten Juden wie Christen das gegenseitige Verhältnis wenn auch nicht rosarot, so doch als überwiegend harmonisch.“ Allerdings seien zum Ende des Jahrzehnts die Stimmen der Antisemiten lauter geworden und hätten „besonders im katholischen Zentrumsmilieu“ ein Echo gefunden.

Die Kundschaft kann kommen: Kölner-Konsum-Geschäft um 1928. Foto: Kölner Foto Archiv, http://www.koelnerfotoarchiv.de

Warnung vor den Verächtern der Demokratie

Aus der Geschichte lernen? Die Chance sollte niemand verpassen. So formulierte Christoph Nonn soeben bei der Buch-Vorstellung im Greven-Verlag in Köln, was er aus der Vergangenheit für die Gegenwart ableitet. Erstens sollten sich die Parteien ihrer Verantwortung für den Staat bewusst sein. Zweitens sollten sich die Wählerinnen und Wähler ihrer staatbürgerlichen Verantwortung bewusst sein. Und drittens sollte allen bewusst sein, dass Kompromisse im politischen Alltag einer Demokratie selbstverständlich seien.

Nein, wir haben in der Bundesrepublik keine Weimarer Verhältnisse. Aber dass die Verächter der Demokratie zahlreicher werden, als wäre Populismus eine ernstzunehmende Regierungsform, ist keine Frage. Und wo der Trend einmal gesetzt ist, wird er von jeder neuen Krise in Wirtschaft und Politik gestärkt. Umso wichtiger ist es, sich nicht gleichgültig zu verhalten, sondern die Demokratie zu verteidigen. Darauf aufmerksam zu machen, ist das größte Verdienst der lesenswerten Untersuchung von Christoph Nonn.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir die schon einige Bände aus der „Geschichte der Stadt Köln“ vorgestellt – und zwar

Band 2 von Karl Ubl über „Köln im Frühmittelalter – Die Entstehung einer heiligen Stadt – 400 bis 1100“ (HIER);

Band 4 von Wolfgang Herborn und Carl Dietmar über „Köln im Spätmittelalter – 1288-1512/13“ (HIER);

Band 5 von Gérald Chaix über „Köln im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform 1512 /13 – 1610“ (HIER);

Band 10 von Thomas Mergel über „Köln im Kaiserreich 1871 – 1918“ (HIER).

Außerdem habe wir die Neugründung der Universität zu Köln, die im aktuellen Band 12 der „Geschichte der Stadt Köln“ ein Thema ist, anlässlich der Veröffentlichung von Hans-Peter Ullmanns Untersuchung „Die Universität zu Köln im Nationalsozialismus“ (Wallstein Verlag) HIER angesprochen.

Christoph Nonn: „Köln in der Weimarer Republik 1918-1933“, Band 12 der „Geschichte der Stadt Köln“, Greven Verlag, 492 Seiten, 60 Euro.

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