„Ein Wirbel, der nie aufhörte“: Ingeborg Bachmann, die vor 50 Jahren gestorben ist, in einem Erinnerungsbuch ihres Bruders und in einer Wiener Ausstellung

Der Palazzo Sachhetti in der Via Giulia in Rom. Links die Gasse rein geht es zum Tiber-Ufer. Foto: Bücheratlas

Der Palazzo Sachhetti in Rom war der letzte Wohnsitz von Ingeborg Bachmann (1926-1973). Anders als in der Via Bocca di Leone nahe der „Spanischen Treppe“, wo sie zuvor gelebt hatte, findet sich an dem Prachtgebäude in der Via Giulia keine Tafel, um an den Aufenthalt der Schriftstellerin aus Österreich zu erinnern. Das mag an der Denkmalswürde des historischen Palazzo aus dem 17. Jahrhundert liegen. Vielleicht auch daran, dass Ingeborg Bachmann dort nur kurz zuhause war: Ende September 1973 war sie mit einer brennenden Zigarette im Badezimmer eingeschlafen und hatte sich dabei schwere Verbrennungen zugezogen. Wenige Wochen später, am 17. Oktober, verstarb sie in einem römischen Krankenhaus.

„Das Fröhliche, Heitere an ihr“

Nun schildert Heinz Bachmann, der 13 Jahre jüngere Bruder, die dramatischen Tage von Rom und die damals ins Kraut schießenden Spekulationen über die Todesursache. Vor allem aber will er festhalten, was Ingeborg Bachmann ihm bedeutet hat: „Das Fröhliche, Heitere an ihr wird mir bleiben und die Unterstützung, die ich immer von meiner großen Schwester erfahren habe.“

Es ist kein grundstürzendes oder spektakuläres Buch. Vielmehr ist es eines voll der brüderlichen Liebe. Heinz Bachmann schreibt: „Ingeborg nahm bei uns allen schon sehr früh eine Sonderstellung ein.“ Sie selbst, die bereits 1954 auf dem Cover des „Spiegel“ zu sehen war, habe nie den Kontakt zur Familie verloren, auch nicht zu Zeiten des größten Ruhms. Sie habe ein wahrhaft bewegtes Leben geführt: „Es war ein Wirbel, der nie aufhörte. Und sicher war der Wirbel auch in ihr selbst.“ 

Leserin von Krimis und Karl May

Die Erinnerungen bieten manch markantes Detail. So habe sich Ingeborg Bachmann in der NS-Zeit beharrlich geweigert, dem Bund Deutscher Mädchen beizutreten. Nach einem Bombenangriff auf Klagenfurt floh die Mutter mit den jüngeren Kindern Isolde und Heinz in das Dorf Obervellach, während Ingeborg allein in der Henselstraße 26 zurückblieb, „um die Matura abzulegen.“ Ihre frühen Texte seien „auf der Schreibmaschine von unserem Onkel Hans“ entstanden. Als junges Mädchen habe sie Karl May gelesen, später als etablierte Autorin auch Krimis geschätzt.

Sehr diskret behandelt Heinz Bachmann einige der Männer im Leben von Ingeborg Bachmann. Als Erstes wird der Handkuss erwähnt, den ihr der britische Offizier Jack Hamesh in Kärnten gegeben hat. Dann geht es kurz zu Hans Weigel in Wien, Paul Celan und Pierre Evrard in Paris, zu Hans Werner Henze in Italien und zu Fritz von Opel in St. Tropez. Die Beziehung zu dem Industriellen zerbrach nach Heinz Bachmanns Angaben deshalb, weil seine Schwester „Telefonanrufe von anderen Männern“ erhielt und damit die Eifersucht des Freundes schürte: „Jemand, der die Freiheit so liebte wie meine Schwester, konnte nur höflich auf Wiedersehen sagen.“

„Herr Frisch“

Die größte Aufmerksamkeit in der Männer-Riege erfährt naheliegenderweise Max Frisch (den Briefwechsel des Paares haben wir auf diesem Blog HIER vorgestellt). Der Autor des Romans „Mein Name sei Gantenbein“, in dem sich Ingeborg Bachmann an zahlreichen Stellen gespiegelt fand, kommt in dieser Erinnerungsschrift nicht gut weg. Heinz Bachmann betont, dass Max Frisch für ihn immer „Herr Frisch“ geblieben sei. Was weniger den Respekt anzeigt, sondern die Distanz. Der Schweizer sei etwas „belehrend“ gewesen, „keine vor Witz und Charme sprühende Person“, und „ganz allgemein fehlte es an Herzlichkeit“. Seine Eifersucht sei extrem gewesen.

Das Scheitern des ungleichen Paares sei absehbar gewesen, heißt es. Mit fatalen Folgen, so sagt es der Bruder, für die psychisch labile Ingeborg Bachmann, die immer wieder auf Beruhigungstabletten zurückgegriffen habe. „Mit der Trennung von Max Frisch muss sich der Verbrauch der Tabletten stark gesteigert haben.“ Wie tiefgreifend die medikamentöse Abhängigkeit war, sei der Familie allerdings erst durch den Unfall im Jahre 1973 deutlich geworden. „Fünfzig Jahre sind seit diesem Verlust vergangen, aber Ingeborg ist jeden Tag bei uns.“

Blick in die Ingeborg-Bachmann-Ausstellung im Literaturmuseum in Wien Foto: Bücheratlas

Hommage im Literaturmuseum in Wien

Wer noch viel mehr wissen möchte über die Schriftstellerin, der sei auf eine Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien verwiesen. Zu sehen ist dort eine „Hommage“ auf die Autorin der Gedichtbände „Die gestundete Zeit“ und „Anrufung des Großen Bären“, der Erzählungen „Das dreißigste Jahr“ und des Romans „Malina“.

Ein enger Parcours mit originalen Objekten (Schreibmaschine „Olympia“, Zigarettenschachtel „Nil“, ihr mit Anmerkungen versehenes Exemplar von Max Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“). Viele Dokumente kommen hinzu. Darunter ist auch eine Strichliste von Hans Weigel, die er 1952 bei der Abstimmung zum Preis der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee angefertigt hat. Ilse Aichinger siegte damals klar vor Walter Jens. Ingeborg Bachmann bekam nur eine Stimme, aber im folgenden Jahr errang sie den Preis.  

„Ecco, un artista!“

Wem die Anreise nach Wien zu weit sein sollte, dem kann das Katalogbuch aus dem Paul Zsolany Verlag aufs Wärmste empfohlen werden. Das bilderreiche Lesebuch, das in der Buchreihe des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek erscheint, nähert sich der „Poetessa“ von vielen Seiten. Es bietet Analysen und Gespräche – unter anderem mit Heinz Bachmann, außerdem eines mit der Regisseurin Margarethe von Trotta, deren Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ Ende Oktober in die Kinos kommt. Dazu Fotos und Dokumente in Fülle. Der Band geht ein auf Person und mehr noch aufs Werk, auf Ruhm und Rezeption, auf „Helles und Dunkles“, wie es in „Malina“ heißt, auf Geschlechterverhältnisse und auf ihre „Poetik der Chiffrierung“.

„Sie war eine Einzelgängerin“, sagt Ina Hartwig in einem der Gespräche, „hat ihrer eigenen Wahrnehmung vertraut und wollte eine Sprache für diese eigene Wahrnehmung finden.“ Und am Ende mag man ausrufen, was schon im Vorwort zitiert wird: „Ecco, un artista!“  

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir den Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, der unter dem Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“ erschienen ist, HIER vorgestellt.

Außerdem haben wir Ina Hartwigs Biografie „Wer war Ingeborg Bachmann?“ HIER präsentiert.

Die Ausstellung

im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (Grillparzerhaus, Johannesgasse 6) ist bis zum 5. November 2023 zu sehen.

Das Foto

am Kopf des Beitrags zeigt die Tastatur von Ingeborg Bachmanns Schreibmaschine, die derzeit im Literaturmuseum in Wien ausgestellt ist.

Heinz Bachmann: „Ingeborg Bachmann, meine Schwester – Erinnerungen und Bilder“, Piper, 126 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Michael Hansel und Kerstin Putz (Hrsg.): „Ingeborg Bachmann – Eine Hommage“, Paul Zsolnay Verlag, 302 Seiten, 27 Euro.

Ein Gedanke zu “„Ein Wirbel, der nie aufhörte“: Ingeborg Bachmann, die vor 50 Jahren gestorben ist, in einem Erinnerungsbuch ihres Bruders und in einer Wiener Ausstellung

  1. Gut, dass der Bruder das getan hat, was des Bruders war. Denn wo IB für sich gesprochen hat, à part, da klang es anders, und man schaute von der Eifersucht zurück auf deren Quellen. Dann aber zögert man, ihre Verhältnisse Liebesverhältnisse zu nennen: „Ich weiß nicht, warum ich Dich will und wozu“, schrieb sie an Paul Celan und warf ihm, Richterin wie Henkerin in einem, bei der Trennung noch vergiftete Bestätigungen hinterher, etwa „dass Du mich besser verletzen konntest, als ich Dich je verletzte“. Horst Krüger, der Kollege, fand ein Fazit: „Scheitern“, sagte er, war ihre „existenzielle Kategorie“.
    Ihr Wesen blieb weithin Geheimnis, und deshalb hat ihr Freund und Verehrer Uwe Johnson nach ihrem Tod sehr klug daran getan, nicht über sie zu schreiben, sondern über ihre Welt, alle Einflussmöglichkeiten ihrer Zeit, die sie konditionierten („Eine Reise nach Klagenfurt“, 1974 (st 235).
    M.B.

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