Ein Mythos wird besichtigt: Ingeborg Bachmann, die Lichtgestalt unter den deutschsprachigen Dichterinnen der Nachkriegszeit. Zwar wird der Geheimcode dieser komplexen Persönlichkeit auch nicht von Ina Hartwig komplett entschlüsselt, die in ihrer Biografie der Frage nachgeht: „Wer war Ingeborg Bachmann?“ Doch die ehemalige Literaturkritikerin der „Frankfurter Rundschau“ und heutige Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt schildert ihre Recherchereise so kurzweilig, reportagesk und vielstimmig, dass das Interesse für die Österreicherin neu geweckt wird. Hartwig stellt ihre „Biografie in Bruchstücken“ an diesem Dienstag beim Saisonfinale des Kölner Literaturhauses vor.
Los geht es im Buch mit einem Besuch in jenem Krankenhaus in Rom, in dem die Bachmann am 17. Oktober 1973 gestorben ist, nachdem sie Tage zuvor mit schweren Verbrennungen eingeliefert worden war. Dazu kam es, weil sie mit einer Zigarette im Bett eingeschlafen war und das Nylonnachthemd Feuer gefangen hatte. Wie sehr die Tablettensucht Einfluss hatte auf Unfall und Tod, wird von Hartwig mit Akribie untersucht. Auch reizt sie das Szenario in der Klinik erheblich, als wäre es eine Bühnen-Inszenierung: die Ärzte, Verwandten, Freunde vor der Intensivstation, die Telefon-Apparate, um mit der Patientin zu sprechen, zu der nur wenige Personen vorgelassen werden. Es wird eine „eifersüchtige Spannung im Freundeskreis“ ausgemacht, aber auch ein „Riss zwischen Freunden und Familie.“
Hartwig geht selten auf das Werk der Dichterin ein. Kaum etwas zur Lyrik oder Prosa, zu den Essays oder Hörspielen. Text-Exegese findet hier nicht statt. Im Zentrum steht die Person, deren Inneres und deren Äußeres. So widmet sich die Biografin ausführlich dem Bild, das Bachmann der Öffentlichkeit von sich zeigte. Manche Fotografien vermittelten ihren Charme und ihre Energie, lesen wir, auf anderen wirke sie wie ein Häufchen Elend. Dann ihr Interesse für die Politik. Das ist geradezu ikonografisch festgehalten in Jupp Darchingers Aufnahme der strahlenden Bachmann auf dem Sofa neben Brandt und Grass und anderen. Schließlich die Liebe: „Paul Celan war, behaupte ich und bin damit nicht allein, Ingeborg Bachmanns große Liebe. Das heißt jedoch nicht, dass sie viel Zeit mit ihm verbracht hätte.“ Es gab dann noch einige namhafte Literaten mehr im Leben der Bachmann. Und was war da mit Henry Kissinger?
Den ehemaligen amerikanischen Außenminister sucht Hartwig im Berliner Luxus-Hotel auf. Aber auch viele andere Zeitzeugen kommen zu Wort. Manchmal ergibt sich die Gelegenheit unverhofft: Peter Handke bei einem Empfang, Joachim Unseld im Flugzeug, Martin Walser auf einem Podium – und so weiter. All das ist von sehr unterschiedlicher Güte, auch mal nichts als Party-Small-Talk. Peter Härtling formuliert seine Sicht auf die Kollegin erfrischend plastisch: „Sie trank wie eine Bäuerin, saß aber da in Chiffonkleidern.“ Marianne Frisch sieht es genauso: „Wenn’s drauf ankam, war sie ein Kärntner Bauernmädchen.“ Sie hatte als Marianne Oellers die Bachmann kennengelernt, als diese noch mit Max Frisch zusammen war. Das Protokoll all dieser Aussagen ist ein wesentlicher Bestandteil der Biografie. Die Statements ergänzen ein Mosaik, das weiterhin viele Lücken hat. Aber die Steinchen, die Hartwig zusammengetragen hat, leuchten schön.
Wer war Ingeborg Bachmann, die 1926 in Klagenfurt geboren wurde und dort auch begraben liegt? Immerhin soviel lässt sich mit Hartwig auf ihre im Titel formulierte Frage antworten: „Ingeborg Bachmann war eine geerdete Persönlichkeit, kompliziert und schwierig zwar, gefährdet ohnehin, aber auch witzig, klug, praktisch, dem Alltag zugewandt und schon früh erstaunlich politisch denkend.“
Martin Oehlen
Ina Hartwig: „Wer war Ingeborg Bachmann?“, S. Fischer, 320 Seiten, 22 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
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