„I am so happy“: Patti Smith erzählt auf der „Poetica 8“ in Köln von Bob Dylan,  Arthur Rimbaud und einer fliegenden Kartoffel

Patti Smith mit Moderator Christian Filips in der Aula der Universität zu Köln. Foto: Bücheratlas

Was für ein Luxus für alle, die Patti Smith zu schätzen wissen. Zum Auftakt der diesjährigen Poetica in Köln, des achten „Festivals für Weltliteratur“, hatte sie ihren Klassiker „The People Have the Power“ mit drei Chören und drei Musikern angestimmt. Nun, am zweiten Tag in der vollbesetzten Aula der Universität zu Köln, folgte eine weitere Version. Da nämlich rezitierte sie den Text, der – wie sie sagte – von Carl Sandburgs „I am the People, the Mob“ inspiriert sei. Rezitation deshalb, weil kein Konzert, sondern eine Lesung plus Gespräch auf dem Programm stand. Im Dialog mit Christian Filips, dem Kurator des Festivals, gab Patti Smith einige Hinweise auf die Genesis des Songs. Nicht nur auf Carl Sandburg (1878-1967). Auch auf eine Situation in der heimischen Küche in den 1980er Jahren. Da war sie gerade schwanger, etwas übellaunig und außerdem damit beschäftigt, Kartoffeln zu schälen. In dem Moment sei ihr Mann gekommen und habe gesagt: „Trishia, People have the Power – schreib das auf.“ Darauf bewarf sie ihn mit einer Kartoffel, die er allerdings auffangen konnte. Okay, danach setzte sie sich ans Werk.

„Ich finde ihn verteufelt sexy“

Geduldig gab Patti Smith in der Aula Auskunft. Sie nannte ihre Lieblingsdichter, wie sie ihr in den Sinn kamen: Richard Yates, „die“ Franzosen, Sylvia Plath, Walt Whitman, William Blake. Nicht zuletzt habe Bob Dylan einen „großen Einfluss“ gehabt, auch wenn er manches „gestohlen“ habe. Aber das machten ja alle: „Alles, was wir lesen, ist der Samen für etwas Neues.“

Und dann Arthur Rimbaud! Dieser Dichter mit dem schönen, leicht arroganten Blick („wie der junge Bob Dylan“). Auf ihn hat sie das „etwas schmutzige“ Gedicht „Traum von Rimbaud“ geschrieben: „verächtliche haltung. große hände. ich finde ihn verteufelt sexy“. Rimbauds Lyrik-Sammlung „Une saison en enfer“ hält sie für ein überragendes Werk. Geschrieben hat er es im Jahre 1873 in Roche in den Ardennen, wo seine Mutter lebte. Das Haus, das im Ersten Weltkrieg von Deutschen zerstört und anschließend mit den Originalsteinen wieder aufgebaut worden sei, habe sie vor einigen Jahren erworben. Denn das sei ja das Land und der Himmel, wo Rimbaud gedichtet habe. Sie erwäge, das Anwesen in eine Autoren-Residenz umzuwandeln. Dafür gab es nicht zuletzt von den in der ersten Reihe anwesenden Dichterinnen und Dichtern des Festivals viel Beifall.

„Hallo“ und „Danke“

Abermals lobte Patti Smith das Dom-Fenster von Gerhard Richter. Bekannte ihr Faible für Martial-Arts-Filme aus Asien. Erzählte von der dreitägigen  Betrachtung des Uluru im australischen Outback. Sprach von den Grabstätten großer Poeten, die sie besuche, um „Hallo“ und „Danke“ zu sagen. Und überrascht nahm sie zur Kenntnis, dass das August-Sander-Archiv in Köln angesiedelt ist, um dann ihr Gedicht „Traum von August Sander“ vorzutragen.

So pendelte Patti Smith immerzu zwischen dem Sessel (fürs Gespräch) und dem Stehpult (für die Rezitation). Dass sie dabei einige Male ihre Lesebrille vergaß, war der Running Gag der Veranstaltung.

„He was bad in a good way“

Kurator Christian Filips, dessen Konzentration und Kondition schon am Vortag gefordert war, überzeugte erneut. Nicht zuletzt seine Gesprächspartnerin. Sie lobte ihn dafür, als Erster überhaupt erkannt zu haben, dass sich ein Refrain auf ein Märchen der Brüder Grimm beziehe. Zustimmung auch für seinen Vortrag der auf Sam Shepard gemünzten „Ballad of a Bad Boy“. Ihr Votum: „Good job!“ Und einen „guten Job“ machte Christian Filips schließlich, als sich Patti Smith eine kurze Auszeit erbat und der Moderator als Alleinunterhalter auf der Bühne verblieb. Dies noch zu Sam Shepard: „He was bad in a good way.“ Mit anderen Worten: „We were young and very wild.“

Manchmal wünsche sie sich, sagte Patti Smith, eine „ganz normale“ Person zu sein, die nicht immerzu schreiben müsse. Aber sie könne nicht anders. Sie sei immerzu damit beschäftig, zu beobachten, zu fotografieren und Notizen zu machen. Aber dass so ein Leben nicht gar so schlecht ist, ließ sie auch durchblicken. „I am so happy!“, sagte sie zum Finale ihres Poetica-Auftritts. Und dann sang sie – gleichsam als Zugabe – gemeinsam mit dem Publikum „Because the night belongs to lovers / Because the night belongs to us“.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir über die Eröffnung der Poetica 8 HIER berichtet.

Weitere Texte über Poetica-Ausgaben der Vergangenheit finden sich leicht über die Suchmaske (Stichwort: Poetica).

Von Patti Smith war hier schon einige Male die Rede – so anlässlich ihres Köln-Konzerts im Jahr 2022 (HIER) oder ihres gemeinsamen Auftritts mit Joan Baez vpor dem Kölner Dom (HIER).

Das Festival

„Poetica“ findet in diesem Jahr zum achten Mal in Köln statt. Das internationale Literaturfestival, das sich vor allem der Lyrik widmet, wird von der Universität zu Köln in Kooperation mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und kulturellen Institutionen der Stadt veranstaltet. Es lädt seit 2015 jeweils bis zu zehn Autorinnen und Autoren aus aller Welt ein. Kuratiert und moderiert wird das Festival von einem Autor bzw. einer Autorin. In diesem Jahr ist es Christian Filips. Zuvor hatten diese Aufgabe inne: Michael Krüger, Ales Steger, Monika Rinck, Yoko Tawada, Aris Fioretos, Jan Wagner und Uljana Wolf. Die Poetica wird finanziert durch die Universität zu Köln, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Kunststiftung NRW.

Die Mitwirkenden

der achten Ausgabe des Festivals, das unter dem Leitthema „Das chorische Ich“ steht, sind Christian Filips als Kurator sowie Daniela Danz (Deutschland), Logan February (Nigeria), Lionel Fogarty (Australien), Kim de l’Horizon (Schweiz), Kateryna Kalytko (Ukraine), Els Moors (Belgien), James Noël (Haiti), Patti Smith (USA), Sukirtharani (Indien) und – digital eingespielt – Zheng Xiaoqiong (China).

Die Gesamtleitung des Festivals liegt bei Günter Blamberger, die Dramaturgie bei Michaela Predeick. Das Festival läuft bis zum bis zum 22. April 2023.

Der Begleitband

zur „Poetica 8“ mit Beiträgen aller Teilnehmenden, herausgegeben von Christian Filips, Günter Blamberger und Michaela Predeick, erscheint im konkursbuch Verlag (176 Seiten, 14 Euro).

2 Gedanken zu “„I am so happy“: Patti Smith erzählt auf der „Poetica 8“ in Köln von Bob Dylan,  Arthur Rimbaud und einer fliegenden Kartoffel

  1. Es kann gar nicht oft genug gesagt werden, welcher Genuss dieser Abend war. Der Abend mit Patti Smith und Christian Filipps. Eine großartige Frau mit einem Gesprächspartner auf Augenhöhe. Ein Moderator der so fit ist eine Seltenheit!
    Lob und Dank auch an die Uni für diese Reihe.

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