Der Fürst, die Schildkröte und die Frauen: Hans van Ess befreit die legendären „Gespräche“ des Konfuzius vom Staub der Jahrhunderte

Chinesisches Saiteninstrument, das im Konfuzius-Tempel in Tainan (Taiwan) ausgestellt wird. Womöglich ist es leichter, das Instrument zu spielen, als den Kern der Konfuzius-Sprüche zu ergründen. Foto: Bücheratlas

Ein Mysterium erster Ordnung – das sind die gesammelten „Gespräche“ des Konfuzius, einer der am häufigsten aus dem Chinesischen übersetzten Texte. Denn 2500 Jahre nach Lebzeiten des Gelehrten ist immer noch nicht oder eben nicht mehr gewiss, was er tatsächlich gesagt hat. Der Sinologe Hans van Ess, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München lehrt, legt eine Neuübersetzung vor, die allein schon aufgrund ihrer mitgelieferten Fragezeichen überzeugt. Das Abenteuer der Überlieferung und der Übersetzung – hier ist es auf faszinierende Weise zu erleben.

Zwickmühle als fester Standort

Das geht schon mit dem Originaltitel „Lunyu“ los. Das chinesische Zeichen für Lun bedeutet „erörtern“, aber womöglich ist hier auch ein ganz ähnliches Zeichen gemeint, das „sammeln“ meint; und das Zeichen für yu darf man als „Gespräche“ verstehen, aber auch als „Sprüche“. So wird die Zwickmühle zum festen Standort des Übersetzers aus dem Altchinesischen.

Kong Qiu, dessen Name im Westen zu Konfuzius latinisiert worden ist, lebte um 500 vor Christus im Staate Lu. Seine Weisheit wurde offenbar schon früh erkannt. Auch am Hof war sein Rat gefragt. Bei den weit nach seinem Tod veröffentlichten Gesprächen handelt es sich um Dialoge, die er mit seinen insgesamt 25 Schülern und diese dann auch untereinander geführt haben.

„Mit 40 irrte ich nicht mehr“

Konfuzius wurde 72 Jahre alt. Im Lehrspruch 2.4, den man freilich nicht streng autobiographisch nehmen sollte, heißt es: „Mit 15 war mein Sinn auf das Lernen gerichtet. Mit 30 stand ich fest. Mit 40 irrte ich nicht mehr. Mit 50 kannte ich die Bestimmung des Himmels. Mit 60 gehorchten mir meine Ohren. Mit 70 konnte ich das tun, was mein Herz begehrte, übertrat aber nicht das Maß.“ 

Immerzu geht es in den Sprüchen darum, wie man sich richtig verhält: „Wer das Rechtmäßige sieht, aber nicht handelt, ist ein Feigling.“ (2.24) Zumal der Fürst wird aufgefordert, einen „guten Umgang“ mit den Untergebenen zu pflegen. Und die Schüler des Konfuzius sahen sich immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert. So spricht der Meister in 5.19: „Zang Wenzhong verzierte die Behausung seiner Cai-Schildkröte mit bergförmigen Kapitellen und Schilfgrasdarstellungen. Wie steht es nun wirklich mit seiner Weisheit?“ Die Antwort: Klug ist er nicht.

„Sensibilität“ löst „Güte“ ab

Frauen hingegen spielen in diesen Gesprächen keine Rolle. Hans van Ess meint, Konfuzius „wusste nicht, wie er mit ihnen umzugehen hatte.“ Das sei „interessant“, schreibt der Autor, da doch der Konfuzianismus „in späteren Zeiten als eine Familienlehre bezeichnet worden“ sei. (An anderer Stelle und in anderem Zusammenhang: „In der chinesischen Literatur dient die Beziehung zwischen Mann und Frau oft als eine Metapher für diejenige zwischen Fürst und Untertan.“)

Hans van Ess will sich mit seiner Übersetzung aus der christlich-humanistischen Begrifflichkeit lösen, die der Brite James Legge (1815-1897) mit seinen Übertragungen maßgeblich geprägt habe. So sei der zentrale Begriff „ren“ häufig mit „Menschlichkeit“ oder „Güte“ übersetzt worden, während sich Hans van Ess für „Sensibilität“ ausspricht: „Sensibilität im Umgang mit anderen ist die wichtigste Fähigkeit, die ein Beamter haben kann.“

„Was ein Gu, was ein Gu!“

Was Sensibilität im Umgang mit den Texten angeht, wird ein ums andere Mal demonstriert. Nehmen wir den Spruch 1.16, in dem der „Meister“ sagt: „Mach dir keine Sorgen, dass andere dich nicht wahrnehmen, sondern mach dir Sorgen, dass du andere nicht wahrnimmst.“ Klingt zunächst einfach. Doch dann werden einem zwei Lesarten angeboten. Die eine: Man möge lernen, „die Fähigkeiten oder die schwachen Seiten in anderen zu sehen.“ Und die andere: Wer sich wünsche, in seinen Missetaten unerkannt zu bleiben, sollte sich besser überlegen, „was andere gerade treiben.“

Der Weg der Verständigung über die Sprachen und Zeiten hinweg – er ist wahrhaft kein leichter. Tatsächlich ist zuweilen sogar völlig unklar, was mit einem Spruch „wirklich gemeint ist“. So wie in diesem Fall: „Der Meister sprach: ‚Ein Gu-Gefäß, das kein Gu ist. Was ein Gu, was ein Gu!‘“ (6.25) Klingt nach Dada, könnte aber auch etwas mit einem Ritualgefäß zu tun haben.  

„Ordnende Hand“

Auf welche Weise die Gespräche arrangiert worden sind, beschäftigt die Sinologie immer wieder. Verbreitet ist die Ansicht, dass sie „aus weitgehend unzusammenhängenden Sentenzen bestehen.“ Hans van Ess hingegen sieht eine „ordnende Hand“ am Werk. Er geht davon aus, dass die „Gespräche des Konfuzius“ ein „bis ins kleinste Detail durchkomponierter Text sind.“ Möglicherweise handele es sich um zunächst unverbundene Aussagen, schreibt er. Dann aber habe „eine Redaktion vermutlich im ersten vorchristlichen Jahrhundert den Text in eine Reihenfolge gebracht“. Einschlägige Anhaltspunkte liefern ihm auch andere alte Texte, beispielsweise die „Aufzeichnungen der Chronisten“ von Sima Qian, worin es „zahllose Parallelen“ zum Text der „Gespräche“ gebe.

Man sieht: Ein großartiger Band, der den Staub von den „Gesprächen“ pustet. Im Verlag C. H. Beck konzipiert für Liebhaber der Kulturgeschichte, der Übersetzungskunst und der Buchgestaltung (von der Farbwahl bis zur Papierqualität). Wer sich da angesprochen fühlt, wird reich belohnt. Was hätte nur Konfuzius dazu gesagt?

Martin Oehlen


Sprüche

Eine kleine Auswahl aus den Sprüchen, die Hans van Ess übersetzt hat.

2.1 Der Meister sprach: „Gestalte Regierung mit deiner Persönlichkeit: So wie das Nordgestirn an seinem Platz weilt, und die zahlreichen Sterne warten ihm auf.“ (Will sagen: die wahre Form der Regierung ist das Nicht-Handeln. Kommt nochmal in 15.5. vor: „Wer durch Nicht-Handeln Ordnung schuf …“ )

2.13 Zigong fragte danach, was ein Edler sei. Der Meister sprach: „Er setzt zunächst um, was er sagt, und hält sich hinterher auch daran.“

2.17 Der Meister sprach: „You! Weißt du das, was ich dir beigebracht habe? Was du weißt als Wissen annehmen, und was du nicht weißt als Nicht-Wissen, das ist Wissen!“

5.21 Ji Wenzi dachte dreimal nach, bevor er handelte. Als der Meister davon hörte, sprach er: „Zweimal hätte es auch getan.“

15.30 Der Meister sprach: „Einen Fehler begehen, ohne danach sein Verhalten zu ändern, das erst nennt man wirklich einen Fehler.“


Zugabe

Nicht notwendig, aber schön ist der Aussprachehinweis zur Umschrift des Chinesischen, der sich in dem Band findet:

„Ein x spricht sich hs, ein a vor n, wenn i, u oder y vorangehen, als ä, ein o oft als u, während ein u nach j, q, x und y zu einem ü wird.“


Konfuzius: „Gespräche“, hrsg. und übersetzt von Hans van Ess, C. H. Beck, 816 Seiten, 48 Euro. E-Book: 36,99 Euro.

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