
Zwei Freunde, eine Schnapsidee. „Es begann – wie fast alles an der Universität Cambridge – spät nachts bei einer heißen Tasse Kaffee“, erinnert sich Tim Slessor. Er sei noch auf einen kleinen Schlummertrunk zu seinem Freund Adrian Cowell gegangen, der damals im selben Wohntrakt wie er gewohnt habe. Im Laufe der Nacht habe der Freund ihm von einer Idee erzählt, die ihm schon lange im Kopf herumspukte. „Einer gemeinsamen Überlandexpedition der Universitäten Oxford und Cambridge.“ Das, so Adrians schlagendes Argument, habe bisher noch keiner gemacht. „Warum versuchen wir es dann nicht?“
„Schottische Eier“ zum Abschied
Ja, warum eigentlich nicht? 10.000 Kilometer Luftlinie Richtung Südostasien, vom Atlantik zum Pazifik – das müsse doch zu schaffen sein, befinden die Freunde in jener Winternacht des Jahres 1954. Was berechtigte Zweifel am wahren Gehalt des „kleinen Schlummertrunks“ weckt.
Doch aus der Schnapsidee wird ein konkreter Plan. Am 1. September 1955 brechen Tim Slessor und Adrian Cowell mit vier Studienkollegen aus Oxford und Cambridge zum Abenteuer ihres Lebens auf. Nach dem Verzehr von ein paar „schottischen Eiern“ (mit einem weichgekochten Ei gefüllte und frittierte Hackbällchen) und einem Bier im „Grenadier“ am Londoner Hyde Park „gingen wir nach draußen, schoben die letzten noch nicht verstauten Dinge von den Autositzen, stiegen ein, riefen ‚Auf Wiedersehen!‘ und fuhren los“.
Durch 21 Länder und einen Dschungel
Sechs Monate und sechs Tage später treffen die sechs jungen Männer in Singapur ein. Kameras klicken und Champagnerkorken knallen. Ihre Hosen stehen vor Dreck. Hinter Tim Slessor, Adrian Cowell, Antony Barrington Brown, Nigel Newbery, Henry Nott und Pat Murphy liegen mehr als 30.000 Kilometer. Sie haben mit zwei Autos 21 Länder und einen Dschungel durchquert, der als unpassierbar galt. „Es war eine lange Fahrt gewesen.“
Bereits ein Jahr später veröffentlicht Tim Slessor, 26 Jahre alt und angehender Dokumentarfilmer der BBC, unter dem Titel „First Overland: London-Singapore by Land Rover“ seine Reiseerinnerungen. Nun hat der Malik-Verlag den Klassiker der modernen Reiseliteratur unter dem Titel „First Overland. Als Erste im Land Rover 18.000 Meilen von London nach Singapur“ erstmals in deutscher Übersetzung veröffentlicht.


„Hinter dem Bosporus kein Salat mehr!“
Ein lohnendes Unterfangen, denn das knapp 400 Seiten dicke Werk liest sich auch 66 Jahre nach seinem Erscheinen so frisch und launig, als habe sich der inzwischen hochbetagte Buchautor gerade erst den Reisestaub von der Hose geklopft. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie schildert Tim Slessor die Bemühungen der Freunde, Sponsoren aufzutreiben und der Firma Rover zwei geländetaugliche Allradfahrzeuge abzuschwatzen. Auch vier geeignete Weggefährten sind bald gefunden. Von London aus geht es zunächst per Flugzeug über den Kanal nach Frankreich und dann immer weiter Richtung Osten: Deutschland, Österreich, das ehemalige Jugoslawien, Irak, Pakistan, Indien, Nepal, Burma (das heutige Myanmar), Thailand, Malaysia. Und endlich Singapur.
Ab Istanbul gilt die Parole: „Hinter dem Bosporus kein Salat mehr!“ Wahrscheinlich seien sie aufgrund dieser Vorsichtsmaßnahme von ernsthaften Krankheiten verschont geblieben, mutmaßt der Autor.
Der Blick auf die Landsleute
Tim Slessor verschweigt weder die Mühen einer solchen Reise noch die täglichen kleinen Reibereien zwischen den sechs Expeditionsteilnehmern. Und mehr als einmal geniert er sich für seine britischen Landsleute, die sie während ihrer Reise treffen: alte weiße Männer, die sich „lautstark und äußerst respektlos“ über „die Eingeborenen“ auslassen. Er schämte sich zutiefst für seine weiße Haut, schreibt Tim Slessor. Leider müsse man sagen, „dass solche (gelinde gesagt) taktlosen Äußerungen keinesfalls nur von einzelnen Personen zu hören waren – das soll hier ausdrücklich betont werden.“
Man kann „First Overland“ als Reisebeschreibung oder als Zeitdokument lesen. Eine spannende und lehrreiche Lektüre ist dieses Buch allemal. Von den Expeditionsteilnehmern leben im Jahr 2023 nur noch Tim Slessor, Nigel Newbery und Pat Murphy. 2019 brachen Newbery und Murphy zu einem letzten gemeinsamen Tripp auf. Sie fuhren mit einigen Begleitern in 111 Tagen und in drei Land Rovern von Singapur nach London. Tim Slessor konnte nicht an der Reise teilnehmen. Er war zu krank dafür.
Petra Pluwatsch
Tim Slessor: „First Overland – Als Erste im Land Rover 18.000 Meilen von London nach Singapur“, dt. von Ulrike Frey und Monika Keipert, Malik, 382 Seiten, 26 Euro. E-Book: 21,99 Euro.

wie toll, das will ich lesen!
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Danke für deine kleine Einführung dieses Reisebuchs. Das müssen wir lesen.
Schönes Wochenende
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
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Sehr gerne geschehen! Und hoffentlich viel Vergnügen bei der Lektüre. Die Tour kann man sicher auch zu viert machen. Schöne Grüße!
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