
Zwei Frauen, ein Problem: Tessa und ihre Schwester Marian arbeiten für die IRA, die Untergrundorganisation Irish Republican Army, und gleichzeitig sind sie Informantinnen des britischen Geheimdienstes MI 5. Ein Balanceakt, der jederzeit tödlich enden kann.
Hoffnung auf Waffenstillstand
Marian, in den 1990er Jahren aufgewachsen in einem katholischen Arbeiterviertel in Belfast, ist vor sieben Jahren von der IRA rekrutiert worden. Die verübt nach wie vor Anschläge auf Polizisten und Politiker, obwohl offiziell Frieden herrscht zwischen den verfeindeten Parteien. Doch Marian ist schon lange nicht mehr überzeugt von den Idealen ihrer Weggefährten, denen jedes Mittel recht ist, um die verhassten Briten aus dem Land zu bomben. Durch ihre Spitzeltätigkeit für den britischen Geheimdienst hofft sie, zu einem möglichen Waffenstilstand beizutragen.
Tessa, Mitarbeiterin der BBC in Belfast und alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes, hat sich allein Marian zuliebe auf das doppelte Spiel eingelassen. Jetzt kommt auch sie nicht mehr heraus aus der Nummer, denn ein Verrat der einen wie der anderen Seite brächte nicht nur ihr eigenes Leben in Gefahr.
Ein Leben, das man so nicht will
Die US-amerikanische Autorin Flynn Berry hat rund um den hochpolitischen Stoff einen durchweg spannenden und temporeichen Thriller geschrieben. „Northern Spy – Die Jagd“ ist bereits ihr dritter Roman. Die beiden ersten Titel – „Under the Harrow“ (2010) und „A double Life“ (2018) – sind allerdings bislang nicht ins Deutsche übersetzt worden.
Tessa entdeckt eher zufällig, dass ihre jüngere Schwester sich der IRA angeschlossen hat. Marian war an einem bewaffneten Raubüberfall beteiligt und ist dabei von einer Kamera gefilmt worden. Sieben Jahre hat die junge Rettungssanitäterin ihr Doppelleben der Familie verschwiegen. Doch bald erfährt Tessa am eigenen Leibe, wie schnell man hineinrutschen kann in ein Leben, das man eigentlich nicht will.
Furcht vor Verrat
Flynn Berry schildert überzeugend die Atmosphäre von Verunsicherung und Gewalt in Nordirland, die allgegenwärtige Furcht vor Terroranschlägen – und davor, von der eigenen Familie verraten zu werden. Da geht es um Geschwisterliebe, um Loyalität und nicht zuletzt um die überbordende Liebe einer jungen Mutter zu ihrem kleinen Sohn.
Einziger Kritikpunkt: Der zeitgeschichtliche Hintergrund bleibt schwammig. Eine zeitliche Einordnung der Ereignisse fällt daher schwer. Offiziell hat die IRA den bewaffneten Kampf bereits 2005 für beendet erklärt, lange vor der erzählten Zeit also, auch wenn es in den nächsten Jahren immer wieder zu vereinzelten Anschlägen gekommen ist. Erst 2019 spitzt sich die Situation wieder zu, als die sogenannte Neue IRA mehrere Anschläge verübt.
Petra Pluwatsch
Flynn Berry: „Northern Spy – Die Jagd“, dt. von Wolfgang Thon, Aufbau, 386 Seiten, 13 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
