Ausnahmezustand im Fischerdorf: Die australische Krimiautorin Jane Harper erzählt in „Der Sturm“ von Verlust und Verdächtigungen

Tasmaniens Küste Foto: Bücheratlas

Zwölf Jahre sind vergangen, seit Finn Elliott und sein Kumpel Toby während eines verheerenden Sturms im Meer ertrunken sind. Zwölf Jahre, in denen Finns jüngerer Bruder Kieran fast zerbricht an seinen Schuldgefühlen. Wäre er an jenem verhängnisvollen Abend nicht von der Flut überrascht worden, wären Finn und Toby nicht bei dem Versuch, ihn zu retten, zu Tode gekommen.  So gestaltet sich Kierans Rückkehr nach Evelyn Bay, einem fiktiven Fischerort an der Küste Tasmaniens, alles andere als harmonisch.

Der unerwünschte Heimkehrer

Im „Surf and Turf“, der einzigen Kneipe vor Ort, wird hinter vorgehaltener Hand über den unerwünschten Heimkehrer getuschelt. Kierans Mutter, bis heute gezeichnet vom Schmerz über den Verlust ihres ältesten Sohns, behandelt ihn mit eisiger Zurückhaltung. „Finn ist deinetwegen gestorben“, wirft sie ihm während einer Auseinandersetzung an den Kopf. „Du bist schuld.“

Die britisch-australische Krimiautorin Jane Harper, Trägerin des renommierten Krimipreises „Gold Dagger“, schildert in „Der Sturm“ eine Gemeinschaft, die auch zwölf Jahre nach der Katastrophe nicht in ihr vorheriges Leben zurückgefunden hat. „Niemand hatte den Sturm unbeschadet überstanden“, nicht Kierans Freunde, nicht seine Familie, nicht die Nachbarn, erst recht nicht Kieran selber.

Die Tote am Strand

Als kurz nach seiner Ankunft eine junge Frau ermordet am Strand aufgefunden wird, kochen die Emotionen endgültig hoch. Bronte Laidler, die junge Aushilfskellnerin aus dem „Surf and Turf“, war beliebt bei den Gästen. Ihr Tod erinnert die Menschen in Evelyn Bay zudem fatal an das Verschwinden der 14-jährigen Gabby Birch vor zwölf Jahren. Die bildhübsche Schülerin wurde in der Sturmnacht das letzte Mal an genau jenem Strand gesehen, an dem jetzt Brontes toter Körper im Wasser liegt. Lediglich ihr Rucksack wurde damals ein paar Tage später an Land gespült. Schon bald trauen sich die Frauen abends nicht mehr auf die Straße, und selbst Kierans dementer Vater gerät ins Visier einer klatschsüchtigen Community, die ihn als potenziellen Täter verdächtigt.    

In Deutschland wurde Jane Harper, die seit vielen Jahren im australischen Melbourne lebt, durch spannende und psychologisch überzeugende Krimis wie „Ins Dunkel“ (2018) und „Zu Staub“ (2019) bekannt (die wir auf diesem Blog HIER und HIER besprochen haben). Auch mit „Der Sturm“ schildert sie exemplarisch, wozu Menschen in einer Ausnahmesituation in der Lage sind. Es braucht nicht viel, um zu einem Mörder oder einer Mörderin zu werden.

Petra Pluwatsch

Auf diesem Blog

haben wir Jane Harpers Romane „Ins Dunkel“ HIER und „Zu Staub“ HIER besprochen.

Jane Harper: „Der Sturm“, dt. von Matthias Frings, Rütten & Loening, 394 Seiten, 22 Euro. E-Book: 14,99 Euro. 

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