Das Imperium schlägt nicht mehr zurück: „Der Untergang des Römischen Reiches“ in einer großen Landesausstellung und in einem lohnenden Begleitband

Das Marmorrelief zeigt den römischen Blick auf die Barbaren: Diese sind wild, verzweifelt – und arm, wie die schlichte Behausung am rechten Bildrand zeigen soll. Dieses Exponat vom Anfang des 2. Jahrhunderts nach Christus kam aus dem Louvre in Paris nach Trier. Foto: Bücheratlas

So viel Untergang war noch nie. Zum ersten Mal wird der Fall des Römischen Reiches in einer Ausstellung in Trier umfassend dargestellt. Die Verantwortlichen der neuen rheinland-pfälzischen Landesausstellung sind auf diesen Coup nicht wenig stolz. Tatsächlich erstaunt, dass es erst jetzt zu einer solch intensiven Tiefenbohrung kommt. Denn das Thema ist faszinierend, komplex und heiß umstritten. Außerdem spielt es in unsere unruhige Gegenwart hinein, in der wir nicht wissen, welche Großmächte mittelfristig überleben werden. Kann man da was lernen?

Ein Päckchen für den Kaiser

Mit der Absetzung des jugendlichen Kaisers Romulus (Augustulus), auch bekannt aus Friedrich Dürrenmatts frei fantasierender Komödie „Romulus der Große“, endete im Jahr 476 das weströmische Kaiserreich. Der Germanen-Heerführer Odoaker nahm in Ravenna die kaiserlichen Insignien an sich und schickte sie an den Kaiser des oströmischen Reiches. Dafür habe man, so Odoakers Botschaft, im Westen keine Verwendung mehr. Das oströmische Reich – das nur zur Erinnerung – war aus der Reichsteilung von 395 hervorgegangen. Mit seinem Zentrum in Konstantinopel, dem ehemaligen Byzanz und heutigen Istanbul, bestand es noch lange fort.  

Was war da los im alten Rom? Warum verlor das Imperium, das auf seinem Höhepunkt große Teile Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens umfasste, seine überragende Macht? Gleich drei Museen widmen sich dieser Frage in Trier, der ältesten Stadt Deutschlands, die Residenz von neun  römischen Kaisern war.

„Von innen her zerstört“

Vorneweg befasst sich das Rheinische Landesmuseum mit den Untergangs-Gründen. Dabei kann es auf „weit mehr als 200 Thesen“ zurückgreifen, die im Laufe der Jahrhunderte ins Spiel gebracht wurden. Legendär ist die Untersuchung des britischen Historikers Edward Gibbon, der im 18. Jahrhundert die Ansicht vertrat, Rom sei nicht durch äußere Einwirkungen, sondern wegen innerer Schwäche untergegangen. Eine Mitschuld gab Gibbon dem Christentum, das seit seiner Einführung im 4. Jahrhundert den soldatischen Geist durch die Botschaft von Milde und Duldung verweichlicht habe. Weiter sah er bei den römischen Eliten eine Neigung zur Dekadenz, was dann später in Film und bildender Kunst attraktiv ausgemalt worden ist.

Kurioserweise eröffnet ausgerechnet ein Filmzitat den historischen Rundgang. Wegweisend steht in dicken Lettern geschrieben, was Regisseur Anthony Mann 1964 in „Der Untergang des Römischen Reiches“ kommuniziert hat: „Ein Weltreich wird von äußeren Feinden erst besiegt, wenn es sich von innen her zerstört hat.“

Kaum ein Jahr ohne Krieg

Konkreter wird Museumsdirektor Marcus Reuter. Für ihn ist die erstmals erstellte Aufzählung aller Kriege im Römischen Reich das „Herzstück“ der Ausstellung. Dabei wird scharf getrennt zwischen internen und externen Konflikten. Die Liste macht schlagend deutlich, dass in der Spätphase des Römischen Reiches, zwischen 365 und 476, kaum ein Jahr verging, in dem nicht irgendwo im Reich Krieg geführt wurde. Und mehr und mehr waren es innerrömische Konflikte mit „selbstzerstörerischem Potenzial“. Solche Bürgerkriege wurden auch dadurch stimuliert, dass zeitweise bis zu vier Kaiser regierten, die einander „nicht grün“ waren, wie Marcus Reuter sagt. Rom war also vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Einer von ihnen: Kaiser Honorius (384-423). Über ihn finden sich in einer antiken Quelle die bitter-süffisanten Worte: „Dieser Kaiser hatte großes Glück bei der Vernichtung von Usurpatoren, während er nie einen Erfolg gegen äußere Feinde hatte.“ Ein wunderbar erzählendes Gemälde von John William Waterhouse, „The Favourites of the Emperor Honorius“ von 1883, zeigt den verträumten Herrscher beim Füttern von Hühnern und Tauben, während er von seiner servilen Entourage alarmiert beäugt wird. Die Legende besagt: Als Honorius über den Fall Roms informiert wurde, glaubte er zunächst, die Rede sei von seinem Lieblingshahn Roma.

John William Waterhouse malte die Szene, in der Kaiser Honorius über den Fall Roms informiert wird und er glaubt, es sei von seinem Lieblingshahn die Rede. Das Gemälde ist im Stadtmuseum Simeonsstift zu sehen und stammt aus der Art Gallery of South Australia in Adelaide. Foto: Bücheratlas

Weizenkrise in der Antike

Am Ende muss es für die „Barbaren“ ein Leichtes gewesen sein, das innerlich geschwächte Reich zu stürmen. Doch es war ein Cocktail aus vielen giftigen Elementen, der den Untergang herbeiführte. Dabei rücken auch Aspekte in den Blick, die von unseren gegenwärtigen Fokussierungen beeinflusst werden. So gab es in der Spätantike einen Klimawandel, der zu Dürren und Ernteausfällen führte. Weiter sorgte die Migration von Franken, Hunnen, Goten, Alamannen und anderen mehr zu erheblichen Veränderungen. Der Begriff „Völkerwanderung“ wird allerdings nur noch in Anführungsstrichen verwendet  – nicht Völker seien gewandert, heißt es, sondern Personengruppen.

Eine Weizenkrise gab es auch, nachdem Roms „Kornkammer“ in Nordafrika von den Vandalen erobert worden war. Die Pest-Seuche trat mehrmals auf und raffte viele Menschen hin. Und folgenreich war die fürchterliche Niederlage von Adrianopel (heute Edirne in der Türkei) im Jahre 378.

Justinian I. knipste das Licht aus

So kam eins zum anderen. Doch der Untergang war kein Kometeneinschlag, sondern brauchte seine Zeit. Schließlich war Rom auch nicht an einem Tag erbaut worden. Den allmählichen Abstieg betont das Landesmuseum, indem die Lichtgestaltung von Saal zu Saal aus dem Hellen übers Feuerrote ins Dunkle führt. Soll sagen: Die Sonne geht unter. Sobald es auf dem Rundgang zur Plünderung Roms durch Alarichs Truppen im August 410 kommt, knistern auch noch ein paar Flammen aus den Lautsprechern. Das sei „ganz großes Kino“, meint Direktor Marcus Reuter.

Am Ende steht das Bildnis von Kaiser Justinian I., ein blattgolden glänzendes Mosaik aus Ravenna. Der oströmische Kaiser war es, der in Rom das Licht ausknipste: Er brachte im Jahre 554 Italien unter seine Kontrolle. Damit war das weströmische Reich endgültig Geschichte. Zwar gab es einige Kontinuitäten – in der Gesetzgebung, in der Baukunst, im Handwerk und in manchem mehr. Aber mit der kaiserlichen Macht war es vorbei.

Eine Ausstellung, die das Publikum auch emotional packen will: Durch diesen lodernden Vorhang geht es im Rheinischen Landesmuseum weiter Richtung Untergang. Foto: Bücheratlas

Die Fliege im Nasenloch des Bischofs

In diese Lücke schlüpften andere. Auch die Kirche. Das Museum am Dom widmet sich dem Christentum rund um Trier von den Anfängen bis ins 7. Jahrhundert. Diese eher kleine Aus­stell­ungssektor will zeigen, „wie die christliche Kirche in das Machtvakuum treten konnte.“ Weiter wird das frühchristliche Gräberfeld von St. Maximin vorgestellt, das Trier als multikulturelle Stadt ausweist.

Auch gibt es Neues zum Bischof Paulinus aus dem 4. Jahrhundert, der wegen eines Kirchenstreits verbannt wurde. Bei einer kürzlich erfolgten Untersuchung des Schädels, so sagt es Direktor Markus Groß-Morgen, entdeckten Spezialisten im rechten Nasenloch des Heiligen eine Schmeißfliege, genauer: ein Fliegenpuparium. Das Insekt kam damals nur im Mittelmeerraum vor, was die These bestätigt, dass Paulinus nach Phrygien (in der heutigen Türkei) verbannt worden war.

„An Rom führt kein Weg vorbei“

Das Stadtmuseum Simeonstift schließlich untersucht „Das Erbe Roms – Visionen und Mythen in der Kunst“. Direktorin Elisabeth Dühr sagt nicht, dass alle Wege nach Rom führen, wohl aber: „An Rom führt kein Weg vorbei“. Die Spurensuche macht aufmerksam auf Artuslegende und Nibelungensage, handelt von der Sehnsucht nach der antiken Metropole in der Renaissance und von der Abkehr zu Zeiten von Humanismus und Reformation.

Der Mythos lockte auch die ganz Großen an. Seit Karl dem Großen haben sich die deutschen Herrscher in der Nachfolge der römischen Kaiser gesehen. Russland führte im 16. Jahrhundert den Titel „Zar“ ein, was sich vom lateinischen „Caesar“ ableiten lässt, und Moskau verstand sich als „das dritte Rom“. Schließlich trug Napoleon auf vielen Bildnissen einen Lorbeerkranz zum purpurroten Gewand – das machte aus ihm, in Öl gemalt und in Stein gehauen, eine imperiale Erscheinung. Gestreift werden auch Faschismus und Nationalsozialismus, die nach Heldentum und Monumentalität der Antike gierten. Das alles: ein reiches Feld.

„Es findet etwas statt“

Die Veranstalter hoffen auf 100.000 Besucher. Das ist nach den Trierer Ausstellungen zu Konstantin dem Großen (2007), Nero (2016) und Karl Marx (2018) konservativ kalkuliert. Aber nach zweieinhalb Jahren voller Krisen sei man froh, sagt Oberbürgermeister Wolfram Leibe, „dass überhaupt etwas stattfindet.“

Die Reise nach Trier, dem antiken Augusta Treverorum, lohnt sich. Dort lockt nicht nur das Ausstellungs-Terzett von Land, Stad und Bistum mit 700 Exponaten aus 130 Museen in 20 Ländern. Auch bietet Trier einige Welterbe-Stätten wie Porta Nigra, Kaiserthermen und Konstantin-Basilika. Für den Besuch wird eine eigens konzipierte „Untergangs-Antiken­Card“ angeboten. Wie gesagt: So viel Untergang war noch nie.

Martin Oehlen

Die Ausstellung

Der Untergang des Römischen Reiches im Rheinischen Landesmuseum Trier, im Museum am Dom und im Stadtmuseum Simeonstift.

Geöffnet Di- So von 10 – 18 Uhr. Bis 27. November.

Eintritt für alle drei Museen: 22 Euro (erm. 19 Euro). Familienticket: 1 Erwachsener und bis zu 4 Kinder: 22 Euro, 2 Erwachsene und bis zu 4 Kinder: 44 Euro.

Der Begleitband

zur Ausstellung erscheint im Verlag wbg Theiss, 464 Seiten, 40 Euro. Er versammelte zahlreiche (weil durchweg kurze) Aufsätze zum großen Thema und liefert jede Menge Bildmaterial.

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