„Der Krieg macht uns zu Monstern“: „Schwerkraft der Tränen“ von Yara Nakahanda Monteiro ist ein starker Roman über Frauen, Gewalt und Angola

Yara Nakahanda Monteiro auf dem „Blauen Sofa“ des ZDF während der Leipziger Buchmesse 2022. Zwar war die Messe offiziell abgesagt worden, aber lebte dann doch auf als Popup-Präsentation. Screenshot vom Livestream des ZDF: Bücheratlas

Da ist dieses „ständige Summen weit hinten im Ohr.“ Das stört Vitória. Seit langem schon. Und sie kennt sehr genau den Ursprung: Es ist der „giftige Dauerton einer Abwesenheit, einer Verlassenheit.“ Dem will die Frau ein Ende bereiten. Deshalb lässt sie ihre Hochzeit platzen, fliegt ohne Vorwarnung von ihrer Wahlheimat Portugal nach Angola, das sie im Alter von zwei Jahren verlassen hat, und will nun endlich ihre Mutter finden. Über diese Frau lesen wir: „Mehr als mich hat sie, meine Mutter, Rosa Chitula, Angola geliebt, ist für ihr Land in den Kampf gezogen.“

Ein Land am Abgrund

Yara Nakahanda Monteiro, 1979 im angolanischen Huambo geboren und in Portugal aufgewachsen, erzählt in ihrem Roman „Schwerkraft der Tränen“ so intensiv wie turbulent von Vitórias Suche nach der Mutter, nach den Wurzeln ihrer eigenen Identität. Dazu geht es mitten hinein in ein Land am Abgrund.  Während die einen die Nächte in den Clubs durchtanzen, werden die anderen beiläufig am Straßenrand erschossen. In solchen Fällen die Polizei rufen zu wollen, wird als absurde Eingebung verworfen. Es herrschen Armut und Chaos, Brutalität und Lebensgier.

Angolas Bürgerkrieg, der nach der Unabhängigkeitserklärung von Portugal im Jahre 1975 ausbrach und bis 2002 andauerte, liegt noch nicht lange zurück, als Vitória in der Hauptstadt Luanda landet. Die brutale Konfrontation steckt weiterhin in allen Köpfen, die Wunden sind noch längst nicht verheilt. Der Krieg hat das Land gespalten, die Volksgruppen gegeneinander aufgebracht und viele Familien zerrissen. Auch die Familie von Vitória. Während ihr Großvater ein „assimilado“ war und die Portugiesen im Lande verehrte, forderte seine Tochter Rosa, also Vitórias Mutter: „Angola den Angolanern“.

Gast auf der Popup-Buchmesse

„Der Krieg macht uns zu Monstern!“, sagte Yara Nakahanda Monteiro jetzt auf der Popup-Buchmesse in Leipzig, wo Portugal als Gastland gewürdigt wird. Auf dem Blauen Sofa des ZDF war das ihre Antwort auf die Frage nach der russischen Invasion in der Ukraine. Gemeint war damit aber auch der Bürgerkrieg in Angola. Den hat Monteiro zwar nicht selbst erlebt. Aber sie spricht aus Erfahrung: „Dieser Krieg in der Ukraine gehört vielen Generationen, die noch folgen. Auch ich habe die Traumata des Bürgerkriegs in Angola geerbt.“ So steht es denn auch in „Schwerkraft der Tränen“ geschrieben: „Die Nachgeborenen tragen die Biografie derer in sich, die vor ihnen da waren.“

Auf ihrer Suche wird Vitória vor allem von Frauen unterstützt. Vorneweg von Romena in Luanda, die sich ein paar Haushaltshilfen leisten kann, und von Juliana in Huambo, die mit der Mutter in den Guerrillakrieg gezogen war. Juliana verrät, dass die Mutter ein Gewehr mit den eigenen Initialen besaß und dass sie den Spitznamen „Dynamit“ trug, weil sie „alles in die Luft jagen“ konnte. Doch Juliana verrät nicht alles.

„Essa dama bate bué“

Das tut auch General Zacarias Vindu nicht, der die Lyrik liebt. Er bietet seine Hilfe bei der Suche an und möchte über jede Neuigkeit informiert werden – und strahlt doch nur Gefahr aus. Glücklicherweise ist Vitória eine starke Frau. „Essa dama bate bué“ ist der Titel der Originalausgabe von 2018. Das ist Slang aus Luanda und bedeutet im übertragenen Sinn: Die Lady ist cool. Aussagestark  ist auch die wörtliche Übersetzung:  Die Dame haut rein.

Yara Nakahanda Monteiro bezeichnet sich selbst als Ururenkelin der Sklaverei, Urenkelin der Rassenmischung, Enkelin der Unabhängigkeit und Tochter der Diaspora. Entsprechend groß ist das Paket, das sie für ihr Romandebüt geschnürt hat. Es genügte ja schon allein die Suche nach der Mutter, um eine attraktive Geschichte zu erzählen. Doch hier kommt so viel mehr hinzu, was die Welt umtreibt: Krieg, Kolonialismus, Rassismus, Patriarchalismus, Feminismus, Diversität – da wird schon einiges geboten. Allerdings sind diese Themen dem Roman nicht mühsam aufgepfropft worden, sondern ergeben sich organisch aus den historisch-psychologischen Elementarteilchen.

Luanda atmet wie ein Körper

„Schwerkraft der Tränen“ ist ein bemerkenswertes Stück Literatur, dem Michael Keglers Übersetzung einen schönen Auftritt bei uns verschafft. Formal variantenreich geht es hier voran. Mal bietet die Autorin einen Bewusstseinsstrom über mehrere Seiten, mal treibt sie die Handlung sprunghaft voran, mal verlässt sie Vitórias Erzählperspektive, um den Blick zu weiten. Für die dichte Atmosphäre des Romans, in dem die Hauptstadt Luanda wie ein atmender Körper beschrieben wird, sorgen auch zahlreiche Bantu-Vokabeln, die im angehängten Glossar schnell auffindbar sind.

Da merken wir uns gleich einmal die Vokabel „Haka“. Warum? Am Ende trifft Vitória eine überraschende Entscheidung. Auch wenn das Angola, das sie Anfang der Nuller Jahre unseres Jahrtausends kennenlernt, durchdrungen ist von Gewalt, von Mord und Kleinkriminalität, Lüge und Korruption, so ist es doch die Heimat, in der sie lieber leben möchte als in jedem anderen Land. Lieber auch als in Portugal, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Ja, da kann man nur den landesüblichen Ruf des Erstaunens anwenden: Haka!   

Martin Oehlen

  • Bonustrack

    Liest man das Kleingedruckte am Ende des Buches aus dem Haymon Verlag, dann sieht man eine erhebliche Sorgfalt am Werk.

  • Da finden sich „Hinweise zu möglichen Triggern“, die aus Rücksicht auf Menschen mit traumatischen Erfahrungen formuliert werden. In diesem Fall: Der Roman „konfrontiert dich mit körperlicher und sexueller Gewalt, Rassismus sowie den Auswirkungen von Krieg.“

  • Weiter erfahren wir, dass dieses Buchprojekt von einem „Beratungskollektiv“ für Unternehmen, Organisationen und Individuen überprüft worden ist, „die ihre Medieninhalte diskriminierungssensibel und intersektional gestalten wollen.“  Da fällt uns dann gleich die Erläuterung des Begriffs „mulata/o“ auf, wo es um Kontext, Begriffsentwicklung und Rassismus geht.

  • Schließlich noch der Hinweis, dass dieses Buch „auf höchstem ökologischem Standard“ gedruckt worden sei: „ausschließlich mit Substanzen, die wieder in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können.“

Auf diesem Blog

findet sich ein Überblick über portugiesische Literatur in deutschsprachigen Ausgaben – und zwar HIER.

Yara Nakahanda Monteiro: „Schwerkraft der Tränen“, dt. von Michael Kegler, Haymon Verlag, 280 Seiten, 22,90 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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