Perlen des Irrsinns: Rayk Wielands turbulenter Roman „Beleidigung dritten Grades“ ist eine Geschichte des Duells

Foto: Bücheratlas

Oberkommissarinnen haben es auch nicht leicht. Nehmen wir nur Eva Tannenschmidt von der Berliner Polizei. Was soll sie bloß davon halten, dass sie vom Psychiater Oskar B. Markov gedrängt wird, sie vor einem Duell zu bewahren. Zu diesem nämlich hat ihn der Antiquar Alexander Schill gefordert.

Markov will nicht antreten

Der Herausforderer ist Markov nur flüchtig bekannt. Auch hegt er keineswegs die Absicht, sich auf eine Begegnung einzulassen, die für den einen oder anderen oder gar für beide tödlich enden könnte. Und überhaupt: Das letzte Duell auf deutschem Boden fand 1937 unter zwei Nationalsozialisten statt. Derartige Formen der Auseinandersetzung sind so schlichtweg idiotisch wie verboten. Lapidar stellt Oberkommissarin Tannenschmidt fest: „Niemand braucht ein Duell zum Sterben. Das geht auch ohne.“

Die Ereignisse allerdings nehmen notgedrungen ihren grotesken Verlauf – damit muss man einfach rechnen, wenn ein satirisch ausgefuchster Autor wie Rayk Wieland („Ich schlage vor, dass wir uns küssen“) am Werk ist.

„Verführung einer Frauenperson“

Er erzählt zum einen die bizarre Liaison zwischen dem wildgewordenen Antiquar und dem verschreckten Psychiater. Dass es eine Frau ist, die den Konflikt heraufbeschworen hat, lässt sich nicht lange verheimlichen, auch wenn diese Constanze Kamp gerade eine Auszeit in einem Schweigekloster nimmt. Schill beklagt die „Verführung einer Frauenperson.“ Einst liebte Constanze den Antiquar mit dem Duell-Tick, nun den Psychiater.

Zum anderen wendet sich Rayk Wieland immer wieder von der Gegenwart ab und der NS-Geschichte zu. Das historisch verbriefte Duell zwischen dem SS-Hauptsturmführer Roland Strunk, Korrespondent des „Völkischen Beobachters“, und Horst Krutschinna, persönlicher Adjutant von Reichsjugendführer Baldur von Schirach, ereignete sich bei den Heilanstalten Hohenlychen in Brandenburg. Anlass war eine angebliche Liebesbeziehung, die Krutschinna mit Strunks Ehefrau Gerda gehabt haben soll. Von der dritten Kugel wurde der Herausforderer tödlich getroffen.

Der Satiriker als Historiker

Es ist dem Autor ein spürbares Vergnügen, den „Perlen des Irrsinns“ in dieser SS-Ehrenkodex-Geschichte nachzugehen. Da ist er Historiker und Satiriker in einer Person. Er versetzt sich sogar in das Hirn von Adolf Hitler, der – auch das ist verbrieft – über Strunks Tod empört war und ein Duell-Verbot erließ.

Allerdings kann der Autor erst recht in die Vollen gehen, wenn es um das Duell zwischen Schill und Markov geht – das ist historisch ganz und gar nicht nachweisbar, sondern erblüht in Rayk Wielands Phantasie. Die beiden Erzählstränge verknüpft der Autor – wenn man das so sagen kann, das heißt, so kann man es wohl eher nicht sagen, aber jetzt sei’s drum – verknüpft er die Erzählstränge also durch eine Offizierskiste der SS. In dieser: Objekte, die beim finalen Duell im Jahre 1937 Verwendung gefunden haben, nicht zuletzt die Waffen.  

Putins Krieg im Nacken der Leser

Ein rasant unterhaltender Roman ist das, der beiläufig noch einige weitere historische Duelle einflicht. Darin gibt es nicht wenige Kolportageelemente. Und wo ein Witz möglich ist, so der Anschein, da wird er platziert: „Markov sagte etwas, das keiner verstand, aber es klang nach einem besser unverständlich bleibenden Fluch.“

So vergnüglich diese Satire über weite Strecken auch ist, so beharrlich wohnt ihr der Schrecken inne. Gewiss liest man die „Beleidigung dritten Grades“ auch vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine. Es gilt: Wo Gewalt als Mittel der Konfliktlösung akzeptiert wird, ist der Irrsinn nicht weit.

Martin Oehlen

Rayk Wieland: „Beleidigung dritten Grades“, Verlag Antje Kunstmann, 368 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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