
Portugal und die portugiesische Sprache – sie sollten auf der Leipziger Buchmesse im März 2022 unter dem Motto „Die unerwartete Begegnung des Verschiedenartigen“ präsentiert werden. Daraus wird leider nichts. Ziemlich unerwartet wurde jetzt die Messe abgesagt und damit auch das schöne Schwerpunktthema.
Dabei hatte noch in dieser Woche das portugiesische Kulturinstitut „Camoes Berlim“, unterstützt vom Fachmagazin Buchmarkt und der Marketing-Agentur Literaturtest, für die einschlägigen Veröffentlichungen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt getrommelt. In einer Zoom-Konferenz präsentierten Autoren, Übersetzer, Buchhändler und Verlage frische und bewährte Attraktionen.
Immerhin – auch wenn für diese Titel nicht auf der Leipziger Buchmesse geworben werden kann, so sind sie ja doch im Buchhandel erhältlich. Hier ein paar Hinweise, die wir aufgeschnappt haben. Dass es sich bei den Empfehlungen aus den meist kleinen und mittleren Verlagen um Beiträge in eigener Sache handelt, versteht sich von selbst.
Weidle Verlag
Stefan Weidle rät zu zwei Titeln von Isabela Figueiredo, die Marianne Gareis übersetzt hat. „Roter Staub“ versammelt die Erinnerungen eines Mädchens an das Mosambik am Ende der portugiesischen Kolonialzeit. Es handele sich um eine „Studie zu Rassismus und Gewalt“. Darin werde mit dem Mythos eines weichen Kolonialismus Portugals aufgeräumt, sagt Stefan Weidle. Dann noch „Die Dicke“! Das Buch sei zwar als Roman etikettiert. Gleichwohl handele es sich tatsächlich eher um ein Memoir. Eine Frau, die immer dicker wird, lässt sich eines Tages den Magen verkleinern, worauf sie stark abnimmt. Was das physisch, aber vor allem psychisch bedeutet, was es über Person und Gesellschaft aussagt, wird von Isabel Figueiredo beschrieben.
Michael Kegler
Stefan Weidle nutzte seinen Auftritt auch, um Michael Kegler zu preisen. Ohne diesen Übersetzer, meinte er, stünden wir im deutschsprachigen Raum mit der portugiesischen Literatur nicht dort, wo wir jetzt stehen. Michael Kegler sang seinerseits ein Loblied auf die Weite des Portugiesischen. Die Sprache werde in immerhin acht Ländern gesprochen. Dieses Faktum spiegelte sich dann in Keglers Literaturliste. Aus Angola stammt Yara Nakahanda Monteiro, deren Roman „Schwerkraft der Tränen“ im März bei Haymon erscheint: „Ein ganz tolles Buch“, ja, „eine profunde und poetische Beschäftigung mit dem Kolonialismus.“ Weiter ging es mit Germano Almeida, einem der wichtigsten Autoren der Kapverden, wie Kegler meint. Wer ihn kennenlernen möchte, sollte zum Roman „Der treue Verstorbene“ aus dem Transit Verlag greifen. Und dann noch José Eduardo Agualusa. Er versinnbildlicht geradezu die Weite des Sprachraums: Geboren in Angola, lebt er abwechselnd in Portugal und in Mosambik. Die Empfehlung in seinem Falle: „Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer“ aus dem C. H. Beck Verlag. Der Übersetzer dieser drei Titel, das versteht sich, ist Michael Kegler.
Kupido Verlag
Frank Henseleit hat den Kupido Verlag vor drei Jahren gegründet. „Wir sind noch in der Phase, uns bekannt zu machen“, sagt er. Immerhin liegen schon sechs Bücher vor – darunter auch der Band „Ifni – Spaniens letztes koloniale Abenteuer“ von Manuel Chaves Nogales, den wir auf diesem Blog HIER besprochen haben. Aus seinem aktuellen Programm empfiehlt der Verleger und Übersetzer als Portugal-Perle den Briefwechsel „Geliebter Fernando Pessoa“ von Mario de Sa-Carneiro (1890-1916). Der früh verstorbene Autor gilt gemeinsam mit Pessoa als Begründer der Literarischen Moderne in Portugal. Es handelt sich um einen „blinden Briefwechsel“, bei dem die Beiträge von Pessoa fehlen. Gleichwohl gebe dieser Band tiefe Einblicke in das literarische Denken von Pessoa, sagt Frank Henseleit. Das Buch erscheint Ende Februar.
Unionsverlag
Lucien Leitess vom Unionsverlag begeistert sich für den Imani-Zyklus von Mia Couto, der 1955 als Sohn portugiesischer Einwanderer in Mosambik geboren wurde und heute in Maputo lebt. Die junge Imani ist die Heldin der Trilogie, die kurioserweise in zwei Bänden erscheint: „Imani“ ist der erste Teil, „Asche und Sand“ birgt die Teile zwei und drei. Es ist die Geschichte eines Lebens zwischen den Fronten – zwischen der Kolonialmacht Portugal und Imanis eigenem Volk. Lucien Leitess meint, dass Mia Coutos Sprache – von Karin Schweder-Schreiner ins Deutsche übersetzt – „eine magnetische Kraft“ habe. Der Verlagsleiter sieht einen „literarischen Staubsauger“ am Werk, der das Ich des Lesers oder der Leserin ins Buch hineinziehe.
Elfenbeinverlag
Ingo Drzechnik kann mit gleich zwei Werkausgaben aufwarten. Die erscheinen zwar nicht wegen des (nun abgesagten) Portugal-Schwerpunkts, aber passen bestens dazu. Zum einen sind dies die vier Bände zu al Berto (1948-1997), der vom Verleger als Popstar der portugiesischen Lyrik in den 1970er und 1980er Jahren bezeichnet wird. Von ihm liegen drei Gedichtbände und der Roman „Mondwechsel“ vor. Für diese Edition haben José Rico Direitinho, Michael Kegler, Luísa Hölzl, Michael von Kilisch-Horn und Sven Limbeck übersetzt. Zum anderen ist da der Klassiker Luis de Camoes, mit dessen Namen sich Portugals Kulturinstitut schmückt. Das Werk des Dichters aus dem 16. Jahrhundert ist in drei Bänden zu haben – vorneweg „Os Lusiades – Die Lusiaden“, eine an die „Odyssee“ angelehnte Dichtung, die Hans-Joachim Schaeffer übersetzt hat. Dann noch je ein Band mit Lyrik sowie Dramen und Briefen.
Hanser
Miriam Koruschowitz, beim Hanser Verlag in der Sortimentsbetreuung tätig, empfiehlt zwei Titel. Ana Luisa Amaral ist im Programm vertreten mit „Was ist ein Name“ – eine zweisprachige Lyrik-Edition, zu der Michael Kegler und Piero Salabè den deutschsprachigen Part beisteuern. Das seien sinnliche Gedichte über kleine Episoden aus dem Alltag, meint Koruschowitz, die könne man auch Menschen in die Hand drücken, die noch keine erfahrenen Lyrikleser seien. Der Band stand bereits auf Platz 1 der SWR-Bestenliste. Die zweite Empfehlung gilt dem Roman „Aber wir lieben dich“. Alfonso Reis Cabral schildert darin eine Spirale der Gewalt und stützt sich auf die reale Ermordung einer transsexuellen Prosituierten. Die Übersetzung hat auch in diesem Falle Michael Kegler erbracht.
Mare Verlag
Landeskundliche Titel sind allemal eine schöne Option. Solche Bücher kann man im Idealfall in die Jackentasche packen und damit losreisen. Dazu lädt der Journalist Paulo Moura ein, der die portugiesische Küste von der Costa Verde im Norden bis zur Algarve im Südosten bereist hat. Was er unterwegs an Geschichten über Menschen und Orte erfahren hat, wurde von Kirsten Brandt ins Deutsche übersetzt. Nach vollbrachter Tat sagt die Übersetzerin: „Das ist ein ideales Buch für Leute, die Portugal kennenlernen möchten, aber es ist auch geeignet für jene, die glauben, Portugal schon in- und auswendig zu kennen.“ Mouras „Ferner Westen“ erscheint Mitte März bei Mare.
TFM – Centro do Livro e do Disco de Língua Portuguesa
Petra Noack, Inhaberin der Frankfurter Spezialbuchhandlung für portugiesische Literatur, hebt die Werke von José Saramago ins Licht. Der Nobelpreisträger des Jahres 1998 wird derzeit in seiner Heimat besonders gewürdigt, da er vor 100 Jahren, am 16. November 1922, geboren wurde. Auch Saramago hat ein Reisebuch verfasst, das Noack als solches empfiehlt: „Die portugiesische Reise“, übersetzt von Karin Schweder-Schreiner. Allerdings hält sie es nicht für sein bestes Werk. Da seien dann doch die großen Romane vor – um hier nur „Memorial“ und „Die Stadt der Blinden“ zu nennen. José Saramago ist 2010 auf Lanzarote gestorben. Seine Bücher erscheinen bei Hoffmann und Campe, Atlantik und btb.
Leipziger Literaturverlag
Viktor Kalinke macht sich für vier Titel aus seinem Verlag stark. Für Luiz Pachecos „Gemeinschaft“, José Viale Moutinhos „Die Flöte des Toten“, Helia Correas „Das dritte Elend“. Und dann ist da noch Maria Gabriela Llansols Roman „Lissabonleipzig“, den Markus Sahr übersetzt hat. 1994 im Original erschienen, führt der Text Johann Sebastian Bach und Fernando Pessoa zusammen: Der deutsche Komponist soll ein Gedicht des portugiesischen Autors vertonen. Mit „Lisboaleipzig“ hat Maria Gabriela Llansol – 1931 in Lissabon geboren und 2008 in Sintra gestorben – gleichsam das diesjährige Buchmessethema vorweggenommen. Denn der erste Teil des Werkes trägt die Überschrift, die man für Leipzig als Motto erkoren hat: „Die unerwartete Begegnung des Verschiedenartigen“.
Martin Oehlen