
Das wertvollste Souvenir, das ein Reisender nach Hause tragen kann, hat Heinrich Barth einmal so beschrieben: „Wer unter Völkerschaften des verschiedensten Charakters und der verschiedensten Glaubensformen gelebt hat und bei allen in ihrer Weise trefflichen Menschen gefunden hat, wird sich vor Einseitigkeit der Anschauung menschlicher Lebensverhältnisse bewahren.“ Das klingt gut, stimmt zudem – und ist heute so wahr wie im 19. Jahrhundert.
Der bedeutende Afrikaforscher, der 1821 in Hamburg geboren wurde und 1865 in Berlin gestorben ist, hat sich wahrlich ganz und gar auf die Länder und Menschen eingelassen, die er besucht hat. Er tat dies mit offenem Sinn, großer Neugier und viel Geduld. Zwar hat Barth nie den Ruhm oder Nachruhm eines Alexander von Humboldt erlangt. Gleichwohl sind seine Erkundungen zumal im Norden Afrikas, von der Mittelmeerküste südwärts bis in den Sudan und den Niger, sehr ergiebig gewesen für die Justierung der geographischen Verhältnisse. Auch der Ethnologie und Linguistik hat er wichtiges Material geliefert. Und stark sind seine Anmerkungen zu Kulturgeschichte, Politik und den alles andere als komfortablen Reisebedingungen – Lebensgefahr durch Krankheit, Entbehrung und Waffengewalt inklusive. Auf dem Buchcover (und bei uns am Kopf der Seite als Detailaufnahme) ist eine von Barth festgehaltene Szene, in der er und seine Begleiter mit Waffen auf dem Dach seines Domizils in Timbuktu zu sehen sind.
„Die von ihrer Civilisation so eingebildeten Europäer“
„Von Berlin nach Timbuktu“ heißt nun die Biografie, die Christoph Marx, Professor für Außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen, im Wallstein-Verlag vorlegt. Sehr bedacht geht der Autor ans Werk, der dabei auf rund 1700 erst kürzlich erschlossene Briefe zurückgreifen konnte. Er schreitet gleichsam Seite an Seite mit Heinrich Barth durch die Wüsten Afrikas und die Flure des Wissenschaftsbetriebs. Dabei ist nicht immer ausgemacht, wo es schwieriger ist, den Kopf oben zu behalten.
Dass Barth die Kunst des Reisens beherrschte, steht außer Frage. Dazu gehörte die Kontaktfreude, die Sensibilität für Landessitte, das Tragen der lokalen Kleidung und das große Sprachtalent. Aber zumal seine Offenheit gegenüber dem Fremden zeichnete ihn aus. Zu Zeiten, da Europa mit kolonialistischer Gier in die Welt hinausdrängte, war diese Position außergewöhnlich. Einmal spricht er über die Tugenden der Muslime, die „von den in ihrer Civilisation so eingebildeten Europäer so leicht übersehn werden“. Er selbst legte sich auf seiner Reise zum Tschadsee (1849 – 1855) den Namen Abd el-Kerim zu, was „Diener des Barmherzigen“ bedeutet.
Kolonisieren, aber nicht kolonialisieren
Christoph Marx verweist ausdrücklich darauf, dass Barth seine Forschung keineswegs als Vorbereitung des europäischen Imperialismus verstanden hat. Zwar berief sich sogar noch „die Kolonialbewegung der NS-Zeit“ auf Barth, wie Marx schreibt. Doch das sei nichts als abwegig gewesen. Barth habe von Kolonisieren gesprochen, also von Besiedeln, aber nicht von Kolonialisieren, also Unterwerfung. Eindeutig sei sein „Eintreten für die politische Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit afrikanischer Reiche“. Kommerzielle Kontakte zwischen Europa und Afrika habe er als Direktor der Zentralafrika-Expedition angestrebt, „weil er hoffte, beide Seiten könnten davon profitieren“.
„Von Timbuktu nach Berlin“ bietet eine reichhaltige Lektüre. Lohnend für alle, die an frühen Reisen interessiert sind, am Afrika des 19. Jahrhunderts und an Heinrich Barth. Wer den Welterkunder kennenlernen will, dem an der Universität Köln seit 1988 das „Heinrich-Barth-Institut“ zur Erforschung der afrikanischen Frühgeschichte gewidmet ist, wird sich freuen dürfen über diese Biografie. Sie erscheint mit leichter Verspätung, aber umso willkommener zum 200. Geburtstag des Forschers.
Martin Oehlen
Christoph Marx: „Von Berlin nach Timbuktu – Der Afrikaforscher Heinrich Barth“, Wallstein, 382 Seiten, 28 Euro. E-Book: 21,99 Euro.
