
Hat es das schon oft gegeben, dass aus einem T-Shirt eine Erzählung wird? Wir kennen da nur einen Fall. Und den auch erst seit kurzem. Nämlich seit wir einen Blick in Haruki Murakamis Kleiderschrank werfen konnten – genauer gesagt: in die Abteilung mit den T-Shirts. Die ist offenbar ähnlich ausufernd wie seine Sammlung von Büchern, von Schallplatten, von Zeitungsausschnitten oder von Bleistiften, die zu kurz sind, um sie noch weiter anspitzen zu können. Das ist der Eindruck, den „Murakami T“ vermittelt – eine Kollektion zum Blättern.
Wer ist Tony Takitani?
Die Veröffentlichung basiert auf einer Artikelserie, die Haruki Murakami für das Magazin „Popeye“ geschrieben hat. Dass da nur ein Bruchteil der im Laufe der Jahrzehnte gesammelten T-Shirts Aufnahme finden konnten, wird bald klar. Gleich zu Anfang – mit der Seriennummer T 1 – steht das T-Shirt, das dem Schriftsteller am wichtigsten ist. Es ist das gelbe „Tony Takitani“-Shirt, das er einst für einen Dollar in einem Secondhand-Laden auf Maui in den USA gekauft hatte. Er habe sich vorzustellen versucht, schreibt Murakami, wer dieser Tony Takitani sei. Daher machte er ihn zum Helden einer gleichnamigen Erzählung, die schließlich von Jun Ichikawa verfilmt wurde. Auf Deutsch ist „Tony Takitani“ 2005 bei DuMont erschienen, in einer schönen Ausgabe und übersetzt von Ursula Gräfe, die selbstverständlich auch beim neuesten Murakami-Werk am Start war.
In der Fiktion verliert Tony Takitani seine Frau, die eine große Sammlung an Designer-Kleidungsstücke angelegt hatte, bei einem Autounfall. In der Realität meldete sich nach der Veröffentlichung der englischsprachigen Ausgabe der Namensgeber beim Autor. Da war die Personalie geklärt: Der Anwalt hatte mit dem Hemd, auf dem auch noch „House D“ zu lesen ist, als Kandidat der Demokraten fürs Repräsentantenhaus von Hawaii geworben. Allerdings ohne Erfolg. Auch aus einer Golfpartie mit Murakami wurde nichts – Murakami spielt kein Golf, wie er sagt.
„Es ist mir fast peinlich“
Dafür hat der japanische Bestsellerautor und Ewige Nobelpreiskandidat in den 80er Jahren – „es ist mir fast peinlich“ – häufig auf einem Surfbrett gestanden, wie er im Kapitel über einschlägige T-Shirt-Motive erwähnt. Überhaupt offenbart der Band in seinen kurzen und oft launigen Texten manche privaten Details. Hier ein paar Stellen, die wir uns angestrichen haben.
- „Bei der Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika muss ich, sobald ich durch den Zoll, aus dem Flughafen hinaus und in der Stadt bin, einen Hamburger essen. Das ist immer mein erster Gedanke.“
- „Mögen Sie Whisky? Ich sehr, um die Wahrheit zu sagen. Nicht, dass ich jeden Tag welchen trinken würde, aber ich genehmige mir gern ein Glas, wenn der Anlass danach verlangt. Besonders an Abenden, an denen ich allein zu Hause bin und in Ruhe Musik höre, erscheint mir Whisky das gegebene Getränk.“
- „Ich habe schon viel Zeit in der Buchhandlung Kinokuniya in Shinjuku verbracht, bin aber noch kein einziges Mal an der Kasse angesprochen worden. Warum eigentlich nicht? (Natürlich bin ich dafür außerordentlich dankbar.)“
- „Die Plattenläden in Paris, London, Berlin und Rom sind nicht gerade aufregend. Trotz intensiver Suche bin ich dort kaum fündig geworden… Wer verrückt nach Schallplatten ist, dem kann ich Melbourne nur empfehlen. Der Wein dort ist auch gut.“
- „Beim Sortieren der T-Shirts kam mir auf einmal der Gedanke, dass eine Welt voller Superheldenfilme, aber ohne reale Superhelden womöglich gar nicht so schlecht wäre.“
- „Das letzte T-Shirt in meiner Auswahl wirbt für Blue Heron Pale Ale, ein Bier aus Portland in Oregon. (…) Wenn Sie mich fragen, ob ich schon einmal ein Blue Heron Pale Ale getrunken habe, muss ich passen. Ich weiß es nicht mehr, denn in Portland war ich meist ziemlich blau.“
Aber weiter im Text! Die meisten T-Shirts hat Haruki Murakami selbst erworben. Kein Konzertbesuch, den er ohne textiles Mitbringsel verlässt – sei es Bruce Springsteen in New York oder Richard Wagner in Bayreuth. Kaum ein Secondhandladen am Wegesrand, so scheint es, der nicht eines Schnellchecks unterzogen würde.
Foto: Yasutomo Ebisu, Keiko Nakajima / DuMont Buchverlag Foto: Yasutomo Ebisu, Keiko Nakajima / DuMont Buchverlag
„Keep calm and read Murakami“
Nicht wenige T-Shirts gelangen überdies ungebeten, wenngleich nicht unwillkommen ins Haus. Vor allem Murakamis nicht-japanische Verlage hegen die Neigung, zu Werbezwecken solche Hemden anfertigen zu lassen. „Das ist schön und gut, aber natürlich kann ich nicht am helllichten Tag in einem T-Shirt, auf dem »Haruki Murakami« steht, durch Tokio laufen.“ Auch nicht mit jenem Hemd aus Spanien, das ihm sehr zusagt: „Keep calm and read Murakami“.
Das Tragen von Tiermotiven hält Murakami ebenfalls für „problematisch“. Seine Argumentation: „Wenn ich ein T-Shirt mit Tiermotiv trage, kann ich mich darauf verlassen, dass irgendein Mädchen es mit einem »Wow, das ist aber süß!« kommentiert. Zumindest kommt mir das so vor. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, aber mitunter fühle ich mich deshalb unwohl, so als würde ich das Hemd tragen, um Frauen zu dieser Art von Kommentar zu ermuntern.“ Bei der Bestimmung der Tiere fällt beiläufig auf, dass Murakami kein geborener Zoologe ist: Mehrfach meldete er Zweifel an, ob dieses Wesen eine Krähe und jenes ein Pelikan ist. Beim Faultier hilft ihm die Beschriftung auf die Sprünge.
„Der VW-Käfer ist ein ideales Motiv“
Wenn es um Automarken geht, muss sensibel abgewogen werden. Sehr schwierig sei es für einen Durchschnittsbürger, mit einem Emblem von Ferrari oder Lamborghini in die Öffentlichkeit zu treten. Auch mit Mercedes, BMW und Porsche laufe man Gefahr, „wie ein armer Schlucker zu erscheinen, der lauthals »Aal, extra Spezial, mit gegrillter Leber« bestellt.“ Eine Marke müsse zu einem passen, sonst könne die Sache schiefgehen. „Bei näherer Überlegung kann man nur zu einem Schluss kommen: Allein ein Volkswagen-T-Shirt kommt infrage. Aus irgendeinem Grund ist der Käfer ein ideales T-Shirt-Motiv.“
Erstaunlicherweise findet sich in der hier ausgebreiteten Sammlung kein T-Shirt, das mit Baseball in Verbindung gebracht werden kann. Dabei hat Murakami schon oft erzählt, dass ihm beim Betrachten eines Baseballspiels die Eingebung gekommen sei, es einmal mit einem Roman zu versuchen. Immerhin gibt es den Hinweis, wem seine Sympathien gelten: „Go, Yakult, go!“ Die Yakult Swallows spielen In Tokio. Und wer weiß: Vielleicht bedarf es eines weiteren Bandes, um Murakamis Baseball-Devotionalien-Sammlung zu präsentieren. Wenn der so locker-fluffig daherkäme wie die vorliegende T-Shirt-Präsentation, dann nur zu!
Martin Oehlen
Auf diesem Blog finden sich zahlreiche Beitrag über Haruki Murakami und seiner Übersetzerin Ursula Gräfe, die jeweils leicht über die Suchmaske zu finden sind. Zuletzt haben wir HIER den Kurzgeschichtenband „Erste Person Singular“ besprochen.
Haruki Murakami: „Murakami T – Gesammelte T-Shirts“, dt. von Ursula Gräfe, DuMont Buchverlag, 192 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
