Der Soldat, der das Kriegsende verpasst hat: Werner Herzog erzählt in „Das Dämmern der Welt“ die Geschichte des Japaners Hiroo Onoda

Hiroo Onoda ist in Japan ein Mythos. Seine Uniform wir im Yasukuni-Schrein in Tokio aufbewahrt. Der Schrein ist umstritten, weil unter den zweieinhalb Millionen Soldaten, derer da gedacht wird, schreibt Werner Herzog, „auch die Namen von etwa tausend verurteilten Kriegsverbrechern“ sind. Foto: Bücheratlas

Schluss ist erst, wenn der kommandierende Offizier es sagt. Das aber dauert eine Weile. Genau genommen 29 Jahre. Da endlich teilt der japanische Major Taniguchi, mittlerweile 88 Jahre alt und eigens von Tokio auf die Philippinen geflogen, seinem Soldaten mit: „Leutnant, Ihr Krieg ist zuende.“

Einsamer Guerillakämpfer

Hiroo Onoda (1912-2014) hatte bis zu diesem Tag im Jahre 1974 keine Kenntnis von der Niederlage seines Landes im Jahre 1945. Sein letzter Informationsstand aus dem Dezember 1944: Er solle die philippinische Insel Lubang als Guerillakrieger besetzt halten bis zur Rückkehr der Kaiserlich Japanischen Armee. Wann immer es seitdem Hinweise gab, dass Japan kapituliert habe und die Welt sich längst anderen Kriegen zugewandt hatte, zumal dem in Korea, hatte Onoda diese als Täuschungsversuche des Feindes gedeutet. So leicht konnte man ihn nicht aus dem Urwald locken, so schnell würde er seine Tarnung nicht aufgeben.

Das ist eine Geschichte, die wie gemacht ist für Werner Herzog. Der Filmemacher hat ein Faible fürs Extreme. Sei es die Psyche eines Menschen, sei es die Herausforderung der Natur. Exemplarisch dafür stehen seine Kinofilme „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1982) und „Fitzcarraldo“ (1982) – gedreht  wurden sie unter schwierigen äußeren Bedingungen im Amazonas-Urwald, und der Hauptdarsteller war in beiden Fällen der genial anstrengende Klaus Kinski.

111 Hinterhalte überlebt

Sehr speziell ist auch der Weg zur Erzählung „Das Dämmern der Welt“, der gleich zu Beginn beschrieben wird. Als Herzog im Jahre 1997 in Tokio die Oper „Chushingura“ von Shigeaki Saegusa inszenierte, wurde er mit der Option einer Privataudienz beim Kaiser überrascht. Noch überraschender war dann allerdings, dass Herzog spontan ablehnte, weil das doch nur „ein leerer Austausch formeller Floskeln“ werden könnte. Viel lieber, so sagte er es seinen irritierten japanischen Gastgebern, würde er Hiroo Onoda treffen. Dazu kam es dann auch.

Herzog schildert knapp, aber mit Lust an poetischer Aufladung Onodas sinnlosen Kampf im philippinischen Urwald. Lange Zeit mit erst drei und dann zwei Soldaten an seiner Seite, schließlich nur noch mit einem Gefährten. Als dieser erschossen wird, zieht Onoda allein seine Bahn. Er vermag im Urwald aufzugehen, bleibt scheinbar unsichtbar, hinterlässt nur selten Spuren. Als Guerillakämpfer bringt er in dieser Zeit dem Vernehmen nach 30 Menschen um und überlebt 111 Hinterhalte. Das ist furchtbar und wahnwitzig, Staunen machend und Mitleid erregend.  Allein gegen alle. Für nichts und wieder nichts. Ein schauderhafter Irrtum – und ein starker Plot.  

Das Kreischen der Zikaden

„Das Dämmern der Welt“ ist keine Dokumentation. Zwar stimmen Daten und wesentliche Verläufe. Doch einiges hat Herzog hinzu empfunden. Denn er kennt ja den Urwald. Die lichtlosen Nächte. Die Feuchtigkeit und Fäulnis. Das Kreischen der Zikaden, „als wäre ein großer Zug bei einer Notbremsung am Schlittern auf den Gleisen“. Der Autor zelebriert Onoda nicht als Helden. Aber sein Respekt vor diesem Leben ist unverkennbar.

„Das Dämmern der Welt“ ist eine schöne und klare Erzählung von Beharrlichkeit und Vergeblichkeit.

Martin Oehlen

Werner Herzog: „Das Dämmern der Welt“, Hanser, 126 Seiten, 19 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

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