
Moderator Christian Ankowitsch leitete den zweiten Tag des Wettbewerbs um den Bachmannpreis mit der journalistischen Lehrmeinung ein, dass eine gute Reportage mit einem Erdbeben beginnen und sich dann steigern müsse. Der erste Jury-Tag sei am Donnerstag so ein Erdbeben gewesen. Nun setze man auf die Steigerung. Tatsächlich blieb es am Freitag beim sogenannten Erdbeben, also bei steter Bereitschaft zu Stichelei und Empörung. Aber dass die Steine noch höher flogen und die Lava noch röter glühte, kann nicht behauptet werden.
Wer auf 3sat den Debatten um die Texte folgt, dem Erkunden von Form und Inhalt und der Verteidigung des eigenen Geschmacks, wird ein ums andere Mal bestätigt: Jeder liest ein Buch auf seine Weise. Was dem einen ein „Ideal von Literatur“ ist, kann für den anderen „unrettbar verloren“ wirken. Das Feld ist weit offen für allerlei Argumente und Querverweise. Wer sich den Spaß machte, all die scheinbar beiläufig erwähnten Referenz-Autorinnen und Referenz-Autoren zu notieren, könnte eine Kladde damit füllen: Brussig, Warburg, Randt, Stifter, Bernhard, Handke, Lettau, Artmann, Reitz, Berger und so weiter. Das Namedropping wirkt nicht immer eitel – aber oft schon.
Und der Streit? „Ich hab‘ mir gedacht, wie müsste der Kritiker / die Kritikerin ausschauen, die diesen Text nicht charmant findet.“, sagte Klaus Kastberger einmal. Und vollendete seine Stichelei: „Mittlerweile hat sich diese Frage beantwortet: Insa Wilke.“ Noch forscher dann Kastbergers Angriff auf Philipp Tingler: „Sie haben wieder mal nicht zugehört.“ Tingler selbst ist derjenige, der das Dreinreden wie kein anderer pflegt. Auch schätzt er den Schlagabtausch. Als Vea Kaiser einem Text zugutehält, dass während der Lesung gelacht worden sei, stöhnt er auf: „Oh, mein Gott!“ Das Lachen der anderen sei doch kein Kriterium in einer literaturkritischen Analyse. Allerdings wagt sich dann Tingler selbst weit hinaus ins Populistische, als er einen Text mit dem Hinweis verteidigt, dass dessen Thema „sehr viele Menschen draußen“ interessiere.
Nun aber wieder zu den ersten Sätzen aus den am Freitag vorgelesenen Texten. Die kompletten Beiträge finden sich unter bachmannpreis.orf.at
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Leander Steinkopf: „Ein Fest am See“
Ein abgerissener Hosenknopf verborgen hinter einer großen Gürtelschnalle, das ist diskrete Libertinage, denke ich mir, als ich mein Hemd im Hosenbund richte. Ich stecke mir die Zigarrenhülse in die Innentasche des Jacketts, hole das Geschenk aus dem Kofferraum und werfe die Klappe zu. Bis zuletzt hatte ich überlegt, ob ich kommen soll, aber dann war mir klar geworden, dass es nicht um mich geht bei dieser Entscheidung, sondern um dich, dass ich dich nicht allein lassen darf an diesem Tag.
Anna Prizkau: „Frauen im Sanatorium“
Als ich ein Kind war, malte mir meine Mutter mit ihren Fingern Kreise auf die Wangen. Sie waren sanft und unsichtbar. Ich liebte ihre langen Nägel, immer hellrot lackiert, und ihre Hände, die meistens kalt waren. Das letzte Mal, als sie die Kreise machte, ging ich noch zur Schule, vielleicht schon in die achte Klasse, vielleicht auch in die siebte.
Ich dachte jetzt an diesen Tag und fuhr mit meinem Zeigefinger, meinem Mittelfinger über die linke Wange, über die Lippen, dann über die andere Wange; als würde ich mir ein Lächeln aufs Gesicht aufmalen.
Verena Gotthardt: „Die jüngste Zeit“
Das Bild schon verblasst, aber zeigt ein Wasser und den Ort an dem der Fischer, der ein Leben lang nicht schwimmen konnte, ertrank. Seine leichenstarren Beine noch im Boot, der Oberkörper übergebeugt und das schimmernde Wasser, wie es strahlt. Wenn alles ganz ruhig, kann man die Luftblasen im Wasser aufsteigen sehen. Uneinig darüber ob das die Fische oder nicht. Die Trauerweide am Rand des Schilfgürtels tief hinuntergebeugt – so wie der Leblose der schwarzen Erde immer näher.
Lukas Maisel: „Anfang und Ende“
Er und Sara waren auf dem Weg zu ihren Eltern und er dachte sich Geschichten aus, wie sie sich kennengelernt hatten. Er meinte, es sei keine gute Geschichte, sich auf einer Dating-App gefunden, sich in einem Bistro getroffen, sich auf einer Bank in der Nähe geküsst und in einem feierlichen Moment gemeinsam die App gelöscht zu haben.
„Wir könnten deinen Eltern sagen, dass du über mich gestolpert bist“, sagte er, „als ich auf dem Trottoir meine Schuhe gebunden habe. Oder dass du mich in der Bibliothek mit einem dieser Rollregale fast aus Versehen zerquetscht hättest. Oder dass du mich im Bus angeniest hast.“
„Warum bin ich die tollpatschige Figur in all deinen Geschichten? Warum stolperst du nicht über mich?“
Fritz Krenn: „Mr Dog“
Die vom Autor wieder und wieder erwartete Durchsage war lange nicht zu vernehmen. Er stand an der Tür des S-Bahnzuges und wartete auf die Einfahrt in die Station.
Dann doch, „Pankow“, so plötzlich wie unerwartet diese Lautsprecherstimme. Und abermals „Nächster Halt Berlin-Pankow“…
Auf seinem Zettel stand der Name jener bedeutenden Schriftstellerin. Die Gassenbezeichnung, die Nummer des Hauses.
Unweit der Station befinde sich das Reduit, wie es dem Autor mit einer gewissen Behutsamkeit erklärt worden war. Das Reduit der Schriftstellerin, der großen Staatsschriftstellerin.
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Auf diesem Blog
finden sich sich die Text-Anfänge vom ersten Bachmann-Tag genau HIER.