Oberkommissarin Nasri im Kampf gegen die Gewalt: Friedrich Anis dunkler Kriminalroman „Letzte Ehre“

Foto: Bücheratlas

Ein geschändetes totes Mädchen, ein missbrauchtes Kind, das ein halbes Leben später selbst zur Täterin wird, eine Kioskbesitzerin, zu Tode geprügelt in ihrem Schlafzimmer – Friedrich Ani schenkt uns nichts in seinem neuen Roman „Letzte Ehre“. So düster wie ein nebelgrauer Wintertag kommt dieser Krimi daher und erzählt auf 270 Seiten davon, zu welchen Gewalttaten Männer Frauen gegenüber in der Lage sind. Aktueller kann ein Thema angesichts der zahlreichen Missbrauchsfälle, die jüngst aufgedeckt wurden, kaum sein.

Unter Müden und Versehrten

Drei Geschichten fließen ineinander, zusammengehalten durch Fariza Nasri, Oberkommissarin bei der Münchener Mordkommission. Auch sie, die in dem Vorgängerband „All die unbewohnten Zimmer“ ihren ersten großen Auftritt hatte, gehört zu den seelisch Müden und Versehrten. Ein Schicksal, das sie mit Anis bisherigen Ermittlern Tabor Süden, Polonius Fischer, Jonas Vogel und Jakob Franck teilt. Der Vater Syrer, die Mutter Deutsche – der Autor, Sohn eines syrischen Vaters, gewährt damit auch einen kleinen Einblick in den eigenen Familienhintergrund.

Fariza Nasri, erst kürzlich zurückversetzt nach München, schleppt eine schwere Last mit sich herum. Vor Jahren hat sie einen Kollegen, einen Mörder, getötet und lebt seitdem in einem Kokon aus Wut, Frust und Einsamkeit. Nur zwei Vertraute lässt sie in ihr Leben. Eine davon, die Kioskbesitzerin Catrin Hagen, wird zum Ermittlungsfall, nachdem sie erschlagen neben ihrem Bett gefunden wurde.

Absturzgefahr ins Bodenlose

Ihr eigenes Unglück macht Fariza Nasri sensibel für die Trauer anderer Menschen. Ani schildert eine Frau, die jederzeit ins Bodenlose abstürzen könnte und doch weitermacht, weil sie dem Bösen keinen Platz einräumen will in der Welt. Eine wie Tabor Süden und Konsorten also, eine „Schweigserin“, die zuhören kann, aber selber niemanden hat, dem sie sich und ihre Geschichte zumuten möchte.

Nicht nur der Mord an ihrer Freundin belastet die Ermittlerin. Da ist der Tod der 17-jährigen Finja Madsen, die bei dem schmierigen Lebensgefährten ihrer Mutter eine Party feiert und am nächsten Morgen leblos im Gästebett liegt. Der Fall ist schnell abgeschlossen, der Täter ein armer Tropf, hineingerutscht in eine schlimme Geschichte. Doch der jungen Frau ist nach ihrem Tod von einem weiteren Mann Gewalt angetan worden, eine Perversität, die die Abgründe männlicher Sexualität aufzeigt.

Frauen in der Opferrolle

Nicht besser die nächste Geschichte, der Fall der Kellnerin Ines Kaltwasser, die nach einer Kneipenschlägerei in Fariza Nasris Verhörzimmer landet. Die abgehärmte 63-Jährige hat „ein Lächeln, das nicht dem Augenblick entsprang; es kam und verschwand wie ein nervöses Zucken“. Vor Jahren war sie verdächtig, einen Mann in den Tod gestoßen zu haben, doch die Beweislage war dünn. Jetzt wird der alte Fall wieder aufgerollt – und offenbart das Martyrium eines Kindes, das jahrelang vom eigenen Vater und dessen Freunden missbraucht wurde.  

Ani entwirft in „Letzte Ehre“ eine von Männern dominierte Welt, in der die Frauen vor allem eine Rolle haben: die des Opfers.  Sie werden missbraucht, verfolgt, vergewaltigt und gewaltsam aus dem Leben geworfen. Wehren sie sich gegen die Übergriffe, werden sie nicht selten selber schuldig. In langen Monologen entlarvt der Autor aufs prächtigste die Selbstherrlichkeit seiner Geschlechtsgenossen – eitle Pfauen ohne Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit.

Petra Pluwatsch

Auf diesem Blog finden sich zahlreiche weitere Beiträge über Friedrich Ani, die leicht über die Suchmaske auffindbar sind. Auch einen Gastbeitrag des Autors gibt es – und zwar HIER.

Ausgezeichnet wurde Friedrich Ani soeben mit dem Grimme-Preis. Das Krimidrama „Wir wären andere Menschen“, zu dem er mit Ina Jung das Buch auf der Basis seiner Erzählung „Rupert“ geschrieben hat, erhielt die Auszeichnung in der Kategorie „Fiktion“.  

Friedrich Ani: „Letzte Ehre“, Suhrkamp, 170 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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