„Ich pflege Menschen zu kaufen“: Martin Mosebachs erstaunlicher Roman „Krass“

Ralph Krass trinkt in der Regel nur Exquisites, aber am Ende darf es in Ägypten auch schon mal was Schlichteres sein. Die Abbildung auf dem Buch-Cover, von dem es am Kopf der Seite einen Ausschnitt gibt, stammt von Nikolaus Heidelbach. Foto: Bücheratlas

Was hätten Alexander oder Napoléon an meiner Stelle gemacht?“ Diese Frage stellt sich Ralph Krass auf Seite 378 des neuen Romans von Marin Mosebach. Zu diesem Lesezeitpunkt kennen wir die Hauptfigur schon recht gut. Deshalb gehen wir davon aus, dass Krass die beiden historischen Vergleichsgrößen nicht scherzhaft erwähnt, sondern sich selbst durchaus auf einem Level mit ihnen sieht.

Ralph Krass ist das, was sein Nachname ausdrückt. Eine raumgreifende, diktatorische, geldverschwendende Erscheinung. Das Bargeld, das er im Koffer transportieren lässt, kommt vermutlich aus dunklen Kanälen. Waffenhandel wäre eine Möglichkeit. Jedenfalls treten namenlose Männer „in dunklen Anzügen mit Sonnenbrillen“ wie zufällig am Wegesrande auf.  

Lidewine, Mohammed und Dr. Jüngel

Krass ist keine sympathische Persönlichkeit. Das macht ihn als Romanfigur reizvoll. Er selbst sagt: „Sie wissen ja, ich pflege Menschen zu kaufen. Ich kaufe Rat, ich kaufe Anwesenheit.“ Gerne schaut er sich spektakuläre Immobilien an, ohne sie zu erwerben. Zeit für andere, die um eine Audienz bitten, hat er kaum. Dennoch macht er auf einige Mitmenschen Eindruck. Nicht auf seine Frau. Denn die nimmt ihm einiges übel. Aber die junge Schönheit Lidewine Schoonemaker, der ägyptische Anwalt Mohammed und vor allem der beflissene Assistent Dr. Jüngel sind auf je unterschiedliche Weise von ihm gebannt.

Drei große Kapitel führen nach Neapel (1988), Frankreich (1989) und Kairo (2008). Immerzu erwartet man den großen Knall, den Fall des Vorhangs, das Lüften eines Geheimnisses. Doch der Plot bleibt übersichtlich. Er handelt von Allmacht und Abhängigkeit, von Überfluss und Absturz. Dass einem dabei nicht langweilig wird, ist ein Qualitätsbeweis. Ja, man könnte Dr. Jüngel zitieren, der meint: „Die Kunst besteht doch vielmehr darin, mit wenigen Gedanken den Eindruck der Fülle zu erzeugen, wie es etwa dem Meister des Alexander-Mosaiks“ – Jüngel hatte das Werk, das im 19. Jahrhundert in Pompei ausgegraben worden war, mit Krass und dessen Entourage im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel besichtigt – „mit letztlich kaum mehr als fünf Figuren gelungen ist, eine Massenschlacht zu inszenieren.“

„Sopha“ statt „Sofa“

Das Warten auf den Clou bleibt ohne Happy End. Dennoch wird der Leser auf anregende Weise unterhalten mit kulturbeflissenen Ortserkundungen, mit ausgesuchten Detailschilderungen und mit einer wohl temperierten Sprache, die für Martin Mosebach so elementar ist wie sein Einstecktuch. Derart distinguiert geht es hier zu, dass das „Sofa“ als „Sopha“ und der „Bankrott“ als „Bankerott“ daherkommen. Das kann man kauzig oder kreativ finden, auf jeden Fall prägt ein starkes Stilbewusstsein diesen Text. Dass der Erzähler, den wir selbstverständlich nicht mit dem Autor in einen Topf werfen, zuweilen ganz und gar indiskrete Beobachtungen mitteilt, nimmt man allerdings verblüfft zur Kenntnis: Lidewine sitzt nackt auf einem Bidet und plätschert mit ihren Händen, „das Pelzchen war triefnass“; und Ralph Krass tritt auf „in knappster Badehose, mit prall gefülltem Beutel zwischen den Oberschenkeln“.

Womöglich steckt ein tieferer Sinn dahinter. Denn diese Einlassungen finden sich im ersten Kapitel, das mit „Allegro imbarazzante“ überschrieben ist – und wenn die Satzbezeichnung „allegro“ für „schnell“ steht, dann der ergänzende Hinweis „imbarazzante“ für „peinlich“. Das zweite Kapitel kommt im gemäßigten Tempo eines „Andante pensieroso“ daher und zeigt uns Dr. Jüngel als nachdenklichen Tagebuchschreiber. Das Finale schließlich ist mit „Marcia funebre“ überschrieben, wenngleich der hier angestimmte Trauermarsch alles andere als feierlich-pompös intoniert wird. Der Titelheld ist eben doch kein Alexander oder Napoléon (hier natürlich mit Accent aigu geschrieben).  

Ralph Krass ist einer, der mit Büchern dergestalt umgeht, dass er jenen Teil, den er gelesen hat, herausreißt und wegwirft. Wie gesagt: Kein sympathischer Mensch. Aber Martin Mosebachs Buch, das Krassens Geschichte erzählt, kann man mit schöner Erwartung zur Hand nehmen. Zerreißen ist hier überhaupt keine Option.

Martin Oehlen

Martin Mosebach: „Krass“, Rowohlt, 526 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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