„Alles muss ganz anders werden“: Jörg Fausers Werkausgabe bei Diogenes

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Foto: Bücheratlas

Sie wächst und wächst und wächst – die neue Edition der Werke von Jörg Fauser (1944-1987) im Diogenes-Verlag. Nach den Romanen, Gedichten und Kolumnen gibt es nun den ersten Band mit Erzählungen „Alles muss ganz anders werden“ sowie seine Biografie „Marlon Brando – Der versilberte Rebell“. Ein Autor wird solcherart gewürdigt, über den sein Kollege Helmut Krausser schon vor Jahren gesagt hat: „Hätte Fauser 3000 Jahre früher gelebt, es gäbe heute in der Bibel das Buch Jörg. Es wäre die Geschichte eines, der auszog, um in Babylon nach Licht und Liebe zu suchen.“

Licht und Liebe kommen in den Erzählungen vor. Aber auch das Gegenteil davon. Denn Fauser erzählt von Abstürzen, Abhängigkeiten, Hinterhöfen. Peter Henning spricht im Nachwort von „Schatten unter Schatten“. Was Jörg Fauser selbst aufgeschnappt hat in den Kneipen seiner Zeit, hat er in seinen Texten verarbeitet. Auch in den Erzählungen des neuen Bandes, von denen zwei bislang noch nicht in Buchform veröffentlicht worden sind: „Marlowe City“ und „Tote, die nicht gestorben sind“.

Die längste Erzählung trägt den Titel „Alles wird gut“. Klingt wie eine Beschwörung. Die passt zur Barbesitzerin Rosa in München, die zuvor „Schauspielerin in Flensburg, Tänzerin in Pinneberg, Stripperin in Kassel, Call-Girl in Gießen und Ehefrau in Bad Homburg vor der Höhe“ gewesen ist. Rosa ist also durchaus lebenserfahren. Sie teilt dem Schriftsteller Johnny Tristano mit, als der mit den verpassten Chancen in seiner Jugend hadert: „Wissen Sie, dass in jedem Augenblick auf der Erde die Sonne aufgeht? Aus diesen Augenblicken lebe ich. Zum Wohl, Herr Schriftsteller. Lassen Sie die Vergangenheit den Schakalen, konzentrieren Sie sich auf das, was jetzt ist und worüber Sie morgen schreiben, und denken Sie daran: Nach jedem Ihrer Sätze geht über irgendeinem Hügel die Sonne auf.“

Gut möglich, dass diese Predigt gesessen hat. Denn gegen Ende sagt Tristano: „Allerdings ist das Leben ein Dreck, aber es ist auch eine Lust.“ Ein Satz, wie er nicht in der Bibel steht, aber doch im „Buch Jörg“.

Vom eigenen Leben hat der Autor nie absehen können. Auch nicht in seiner Biografie von Marlon Brando, den er  als Rebellen geschätzt hat. So verbindet Fauser seine eigene Existenz mit der Film-Legende. Die entschieden subjektive Sicht ist angenehm originell, verknüpft Hollywood mit der deutschen Stimmungslage in den 60ern und 70ern. Da transportiert Fauser nicht zuletzt seine Wut auf Konzern-Multis, „Politkommissare“, „Kulturkorrektoren“ und „Schreiberlinge“ („sie seichen, schleimen und laichen“). 

Geschrieben hat er diese Biografie, so sagt er es gegen Ende, für alle, die in Idolen und Mythen nach dem „eigentlichen Leben“ suchen. Und gewidmet hat er sie „den Frauen des Südens“.  Das hätte wohl auch Brando so sagen können.

Bereichert wird dieser Band durch eine frühe, selbstverständlich klug analysierende Eloge von Brigitte Kronauer auf Fausers Biografie. Franz Dobler hat ein Nachwort hinzugefügt. Darin weist er darauf hin, dass Fauser selbst das Werk für „das wahrscheinlich am gelungenste“ seiner Bücher gehalten hat. Und Dobler konstatiert: „Und wer bin ich, dass ich gegen diese Einschätzung protestieren könnte.“

Martin Oehlen

Mehr über die bisher erschienenen Bände der Edition des Diogenes-Verlags sind auf diesem Blog zu finden.

Zum Roman „Rohstoff“ und zum Grundsätzlichen findet sich HIER ein Beitrag.

Die Gedichte werden HIER vorgestellt.

Jörg Fauser: „Alles muss ganz anders werden – Erzählungen 1975-79“, Diogenes, 286 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

Jörg Fauser: „Marlon Brando – Der versilberte Rebell“, Diogenes, 288 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

 

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