
Foto: Bücheratlas
Albert Camus und Uwe Timm? Da geht was. Der eine ist in aller Munde, weil sein Roman „Die Pest“ in Pandemie-Zeiten als die ultimative Lektüre gefeiert wird. Der andere begeht an diesem 30. März 2020 seinen 80. Geburtstag – über die zwei Neuveröffentlichungen zu seinem Fest haben wir auf dem Bücheratlas bereits HIER berichtet.
Was Timm mit Camus (1913-1960) verbindet? Über ihn hat der in Hamburg geborene, in Köln verlegte und in München und Berlin lebende Autor zum einen seine Dissertation geschrieben: „Das Problem der Absurdität bei Albert Camus“. Darin ging es nicht zuletzt um den Roman „Der Fremde“ (1942). Zum anderen hat sich Timm in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen, die 2009 bei Kiepenheuer & Witsch unter dem Titel „Von Anfang und Ende – Über die Lesbarkeit der Welt“ veröffentlicht wurden, über „Die Pest“ (1947) geäußert.
Timm lobt darin „eine höchstkunstvolle Ästhetik des Romans“, die sich gleich im ersten Satz bekunde, weiter „diese Dichte, diese erstaunliche Nähe“ sowie die Beschreibung der Protagonisten – „differenziert, knapp und präzise“. Und worum geht es? „Es sind erkennbar die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts, die Camus beschreibt, das Stadtleben, in dem, wenig beachtet, die Vorboten der Seuche auftauchen: zunächst einzelne, dann immer mehr Ratten, die ohne Scheu ans Tageslicht kommen und in den Häusern und Straßen krepieren. Die Krankheitssymptome werden als nicht eindeutig beschrieben. Die ersten Toten werden noch nicht als Opfer der Pest erkannt, man hofft – eine kollektive Verdrängung -, es seien Einzelfälle, das Virus sei nicht typisch, Proben gehen nach Paris, man hofft, man verdrängt, man schiebt Maßnahmen zur Isolation auf – und dann bricht die Seuche aus, es gibt Hunderte von Toten, überfüllte Krankenhäuser, Massengräber müssen ausgehoben werden, die Stadt wird durch das Militär abgeriegelt, der Ausnahmezustand verhängt.“
Das klingt alles sehr gegenwärtig. Aber selbstverständlich erzählt Camus von anderen Zeiten. Sein Roman wurde schon bei Erscheinen in Beziehung gebracht, wie Timm festhält, zur „Nazi-Pest“ während der deutschen Okkupation in Frankreich.
Dennoch finden sich Widerhaken im Camus-Text, an denen man aus aktueller Erfahrung hängenbleibt. Auch in der Poetik-Vorlesung. Uwe Timm schreibt: „Die Seuche … ist maßlos. Sie richtet sich gegen die Gattung Mensch.“
Martin Oehlen
Uwe Timm: „Von Anfang und Ende – Über die Lesbarkeit der Welt“, Kiepenheuer & Witsch, 144 Seiten, 16,95. E-Book: 8,99 Euro. Taschenbuch bei dtv: 8,90 Euro.
Albert Camus: „Die Pest“, dt. von Ulli Aumüller, Rowohlt, 350 Seiten, 12 Euro. E-Book: 9 Euro.
Einen Beitrag über die beiden Bände zum 80. Geburtstag von Uwe Timm gibt es HIER.
Spannend! Ich lese „Die Pest“ auch gerade wieder. Da würde Uwe Timm gut passen. danke für den Tipp!
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Sehr gerne! Es soll ja gerade eine enorme Nachfrage nach dem Camus-Roman geben. Glücklich diejenigen also, die ihn zuhause haben.
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Ja ich hatte es mir kurz bevor die Bibliothek schloss noch ausgeliehen. Letztes Jahr hatte ich die Pest erstmalig gelesen und gehört. Auch im Frühling. Damals fand ich den Gegensatz vom Frühling und beschriebenen szenario surreal.
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