
Ein Teddybär – nicht dieser – spielt eine wichtige Rolle in Jan Costin Wagners neuem Kriminalroman. Foto: Bücheratlas
Einige Sekunden nur hat Lea Meininger ihren Sohn aus den Augen gelassen. Doch jetzt ist der fünfjährige Jannis unauffindbar. Ein Mann, mittelalt, mittelgroß, etwas korpulent, hat den Jungen an die Hand genommen und ist mit ihm davongegangen. Das beweist eine Überwachungskamera an einem nahen Parkhaus. Am Tatort zurückgelassen hat er einen großen Teddybären.
„Sommer bei Nacht“ heißt Jan Costin Wagners jüngster Kriminalroman, in dem der Frankfurter Schriftsteller und Musiker einmal mehr sein großes schreiberisches Potential und seine exzellenten Kenntnisse der menschlichen Psyche unter Beweis stellt. Für „Das Schweigen“, den zweiten Band seiner Reihe um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa, ist Wagner 2008 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet worden. Zwei weitere Bände der Serie wurden für das deutsche Fernsehen verfilmt, zuletzt sein 2014 erschienener Roman „Tage des letzten Schnees“, der im Februar 2020 im ZDF lief.
In „Sommer bei Nacht“ hat sich Wagner von Finnland verabschiedet und ist zurückgekehrt nach Deutschland. Geblieben ist dieser Grundton von Melancholie und Schmerz, der schon seine Joentaa-Reihe bestimmte. Fast jeder in diesem Roman hütet ein Geheimnis, leidet an einer tiefen, schwärenden Seelenwunde, erst recht Ben Neven, einer der ermittelnden Kommissare.
In knappen, oft kaum mehr als eine Buchseite umfassenden Sequenzen schildert Wagner aus wechselnden Erzählperspektiven, wie es nach der Tat weitergeht mit Jannis, mit seiner Mutter und all jenen, die mit dem Entführungsfall zu tun haben. Er schlüpft hinein in die Köpfe seiner Protagonisten Hand in Hand lässt das, was sich darin abspielt, für sich selber sprechen. Jedes Kapitel ist ein kleines Psychogramm, überzeugend in seiner Kürze und geprägt durch die scharfe Beobachtungsgabe des Autors.
Petra Pluwatsch
Jan Costin Wagner: „Sommer bei Nacht“, Galiani Berlin, 314 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.