
Mit Gummi beschichtete Stoffhandschuhe sind in Korea populär. Dies ist nur eine der Informationen, die in der Ausstellung „Uri Korea – Ruhe in Beschleunigung“ im Hamburger Völkerkundemuseum MARKK (Rothenbaumchaussee 64) zu bekommen sind. Wer mehr über den Alltag in dem südostasiatischen Land erfahren will, in dem Young-ha Kims Roman spielt, hat dazu noch bis 1. Dezember 2020 Gelegenheit. Foto: Bücheratlas
Manchmal ist der erste Satz das Beste, was ein Roman zu bieten hat. Und manchmal erfüllt der erste Satz genau die Erwartung, die er geweckt hat. In diesem Fall geht die Geschichte so los: „Meinen letzten Mord habe ich vor fünfundzwanzig Jahren begangen.“ Was dann folgt, ist eine der ungewöhnlichsten Plots, die in diesem Frühjahr zu haben sind. Die „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ von Young-ha Kim (51), in Südkorea bereits 2013 erschienen, sind verblüffend, radikal, bannend, makaber und auf jeden Fall außergewöhnlich. Eine tragikomische Köstlichkeit.
Auf nur 152 sehr großzügig bedruckten Seiten begleiten wir den 70 Jahre alten Byongsu Kim, der in die Demenz taumelt. Der alleinlebende Tierarzt kann „von Natur aus“ keine Trauer empfinden, ist aber eigenen Angaben zufolge für Humor empfänglich. Zwar nimmt seine Vergesslichkeit rapide zu. Doch dass er ein Serienmörder war, der die Leichen im Bambushain seines Gartens vergraben hat, weiß er schon noch. Dieses Unwesen beendete er abrupt, als er einsehen musste, „es“ nicht mehr „besser“ machen zu können: „Statt zu morden ging ich bowlen.“ Die Wandlung, wir wissen es seit dem ersten Satz, vollzog sich vor 25 Jahren.
Doch was ist das? Auf einmal scheint es einen neuen Serienmörder in der Stadt zu geben. Das lässt Kim keine Ruhe. Zumal er davon ausgeht, dass der es auf Unhi abgesehen hat. Kim hält die junge Frau für seine Adoptivtochter, doch ist sie in Wahrheit als Krankenpflegerin um sein Wohl besorgt. Und Jutae Park, den er als neuen Serienmörder ausgemacht hat, ist der Kommissar, der ihn nach vielen Jahrzehnten ins Visier nimmt.
Kim schreibt in sein Tagebuch: „Meine letzte Lebensaufgabe steht fest. Ich muss Jutae Park umbringen. Bevor ich vergesse, wer er ist.“ Die Wendung, die diese Geschichte dann nimmt, darf hier nicht verraten werden. Aber jeder, der diese Rezension bis hierhin gelesen hat, kann sich darauf verlassen: es bleibt speziell.
Die Romane der 1970 geborenen Südkoreanerin Han Kang haben bei uns eine neue Aufmerksamkeit geweckt für die zeitgenössische südkoreanische Literatur. Auch von Young-ha Kim, der zu derselben Autoren-Generation gehört, sind in der Vergangenheit schon einige Titel auf Deutsch erschienen. In Südkorea waren es zumeist Bestseller – seine „Aufzeichnungen eines Serienmörders“, die auch verfilmt worden sind, wurden dort über 200.000 Mal verkauft. Nun liegt das Werk im Cass Verlag aus Thüringen vor, der sich auf japanische Literatur spezialisiert hat und seit Kurzem zudem ein Korea-Programm anbietet.
Der Roman handelt aus der Ich-Perspektive von Schuld und Scham, Tod und Leben, Vergessen, Verjährung und Verwirrung. Kims Aufzeichnungen sind gespickt mit philosophischen Einsprengseln: „Beängstigend ist nicht das Böse, sondern die Zeit. Denn gegen die sind wir alle machtlos.“ Zudem gibt er seine Leseerfahrungen mit Homer und Sophokles, Montaigne und Nietzsche preis. Was einmal mehr beweist: Auch die Lektüre des Kanons macht nicht zwangsläufig einen guten Menschen.
Martin Oehlen
Young-ha Kim: „Aufzeichnungen eines Serienmörders“, dt. von Inwon Park, Cass Verlag, 152 Seiten, 20 Euro.