Wien, Wien nur du allein: Eine Stadt in der Fotografie

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Am Wiener Kohlmarkt um 1910 – im Vordergrund das „Limonadezelt“ des Café Korb. Links das Haus mit dem im Jahre 1862 von Adele Perlmutter gegründeten Foto-Atelier Adèle. Die Aufnahme stammt von Reinhold Entzmann und Sohn, einem Unternehmen, das sich auf Postkarten mit Wiener Motiven spezialisiert hatte. Foto: Taschen Verlag

Wien, Wien nur du allein! Um nichts anderes geht es in diesem sachertortenmäßig üppigen Porträt einer Metropole. Es entsteht aus einem schier berstenden Fundus an Fotografien, welche den Zeitraum zwischen 1839 und der Gegenwart abdecken. All das geschieht in Schwarz-Weiß oder Sepia-Braun, nachkoloriert oder in der vierfarbigen Hochglanzvariante. Die Auswahl der Aufnahmen und die Schilderung der Geschichte, vor deren Hintergrund sie entstanden sind, besorgten Christian Brandstätter, Andreas J. Hirsch und Hans-Michael Koetzle. Selbstverständlich findet sich da auch ein Kapitel über die NS-Diktatur: „Für die Fotografie in Wien stellt der Anschluss von 1938 einen Bruch in der Entwicklung dar.“ heißt es. „Viele Fotografen werden vertrieben oder ermordet, ihre Studios ‚arisiert‘ und ihre Archive vernichtet.“

Die Fotografien stammen von den größten Bühnen der Stadt und ihren verstecktesten Winkeln. Es ist ein Panorama des Grellen und des Schönen, des Lauten und des Leisen, des Modischen und des Schlichten, des Walzers und des Kaffeehauses. Man kann in diesen Seiten schwelgen. Und es sei gesagt: Dies gelingt zumal mit den Aufnahmen aus alter Zeit, in denen der Wiener Alltag kenntlich wird mit seinen kleinen Läden, kecken Künstlern oder einem „typischen“ Wiener Hausmeister. Wie so ein Herr einen anstarrt – mit einem Besen in der Hand, der wie eine Keule wirkt – möchte man ihn nicht mit einem Problem behelligen.

Vieles gibt es auf diesen Bildern zu entdecken. Menschen, Straßen und Gebäude. Die k.u.k Hofbuchhandlung Wilhelm Frick, die sich unter anderem auf Land- und Forstwirtschaft spezialisiert hat. Prater und Majolikahaus, Musikverein und Schloss Schönbrunn. Egon Schiele im Anzug mit Gemälde und Gustav Klimt im Kittel mit Katze. Der Architekt Adolf Loos und der Schriftsteller Peter Altenberg in einer Aufnahme von Trude Fleischmann aus dem Jahre 1918, welche den Titel trägt: „Zwei, die sich hinwegsetzen über alles, was bisher unrichtig war.“ Später dann Heimito von Doderer, Otto Mühl, André Heller, Elfriede Jelinek. So könnte man halt immer weitermachen – von Bild zu Bild. Ein Band zum Eintauchen.

Noch eine schöne Besonderheit findet sich am Ende des dreisprachigen Werkes. Da folgen auf die Kurzbiografien der Fotografinnen und Fotografen (darunter auch Martin Parr und Henri Cartier-Bresson) kommentierte Listen mit Empfehlungen zu Filmen, Musiken und Büchern, die mit Wien in Verbindung zu bringen sind. Und da gibt es nachweislich viel, viel mehr als nur „Der dritte Mann“, „An der schönen blauen Donau“ oder „Die Strudlhofstiege“. Die Tipps berücksichtigen auch junge und jüngste Neuzugänge. Die Bücherliste endet mit Robert Seethalers „Der Trafikant“.

Wer Wien mag, wer europäische Kulturgeschichte schätzt, wer an der Entwicklung der Fotografie auf der Bühne einer Metropole interessiert ist – der kommt an diesem Band nur schwerlich vorbei.

Martin Oehlen

Christian Brandstätter, Andreas J. Hirsch, Hans-Michael Koetzle: „Wien – Porträt einer Stadt“, Taschen, 532 Seiten, 50 Euro.

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