Thomas Engström im Gespräch über seinen Stasi-Thriller „West of Liberty“: „Als wäre ich plötzlich allmächtig!“

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Thomas Engström Foto: Bücheratlas

Übertriebene Eitelkeit kann man Thomas Engström nicht vorwerfen. Die TV-Verfilmung sei in vielerlei Hinsicht besser als sein Buch, gibt der schwedische Journalist und Thriller-Autor unumwunden zu. Wenn er „West of Liberty“ noch einmal schreiben könnte, würde er sämtliche Ideen des Filmteams beherzigen. Großes Lob also für den gleichnamigen Zweiteiler, den das ZDF am 24. und 25. November ausstrahlt. Regie bei dem internationalen Agententhriller führte Barbara Eder.

„West of Liberty“, der erste Band einer vierteiligen Serie, erzählt die Geschichte des ehemaligen Stasi-Mitarbeiters und Doppelagenten Ludwig Licht, gespielt von Wotan Wilke Möhring. Der Mittfünfziger hat nach dem Mauerfall in Berlin-Kreuzberg eine Kneipe aufgemacht, doch auch mehr als 20 Jahre später hat er nicht Fuß gefasst im wiedervereinigten Deutschland. Licht ist ein Loser, ein Säufer, der sich das Elend seiner verkrachten Existenz schöntrinkt und gelegentlich für den amerikanischen Geheimdienst schmutzige Dinge erledigt. Als der Berliner CIA-Chef GT Berner (Matthew Marsh) ihn beauftragt, die Amerikanerin Faye Morris (Michelle Meadows) zu bewachen, ahnt er nicht, dass die junge Frau die Rechtsanwältin des gesuchten Whistleblowers Lucien Gell (Lars Eidinger) ist.  Berner, ein Mann ohne Skrupel, hofft, mit ihrer Hilfe an den „Verräter“ heranzukommen und damit einen letzten Coup vor seiner vorzeitigen Pensionierung zu landen.

Engströms Debüt spielt 2011 in Berlin.  Die deutsche Hauptstadt, sagt der 44-Jährige bei einem Gespräch in Hamburg, habe ihn schon immer fasziniert. „Früher verlief hier die Frontlinie des Kalten Krieges. Heute ist sie auf dem Weg zur Hauptstadt Europas.  London wird nach dem Brexit an Bedeutung verlieren, und Berlin wird an seine Stelle treten.“

Monatelang recherchierte er vor Ort und arbeitete sich durch die Autobiografien von Spionen und Stasimitarbeitern. Ein Freund habe ihn zuvor bedrängt, sich doch einmal an einem Krimi zu versuchen. „Ich habe schon immer gern Polit-Thriller gelesen, und er überredete mich schließlich, selber einen zu schreiben, obwohl ich mir das eigentlich nicht zutraute.“

Eine mögliche Hauptfigur war bald gefunden. Bei einem Aufenthalt in Berlin einige Jahre zuvor sei ihm ein Passant in einem gutsitzenden Leinenanzug und mit einem großen Hut auf dem Kopf aufgefallen, erzählt Engström.  „Er war vermutlich Ende 50 und sah aus wie eine Figur aus einem Graham-Greene-Roman. Ich begann, über ihn nachzudenken. Ob er vielleicht aus Ostberlin stammte und wie wohl sein Leben nach dem Mauerfall verlaufen ist.“

Auch eine zweite Zufallsbegegnung an jenem Tag sei ihm nicht aus dem Kopf gegangen. „Ich traf einen Mann, der nach der Maueröffnung ein Parfümgeschäft eröffnet hatte. Er erzählte mir, dass er früher für die DDR-Regierung gearbeitet und sich nun den Traum von einem eigenen Geschäft erfüllt hatte.“ Er habe sich gefragt, wie sich das wohl anfühle, „wenn man für die Stasi arbeitet und dann die Mauer fällt“. Als er angefangen habe, über ein Buch nachzudenken, habe er die beiden Personen zu einer Figur zusammengefügt. Ludwig Licht war geboren.

Eineinhalb Jahre brauchte Engström für die Story. Einen ersten Entwurf, in der Ich-Form geschrieben, verwarf er auf Anraten seines Literaturagenten.  Der zweite, aus der Sicht des allwissenden Erzählers geschrieben, begeisterte nicht nur den schwedischen Albert Bonniers Verlag, sondern auch Engström selber. „Es war, als wäre ich plötzlich allmächtig. Ich konnte eine Botschaft stürmen und Hubschrauber fliegen lassen und durch die Hand von Ludwig Licht so viele Menschen umbringen, wie ich wollte.“

Das Verfassen von Thrillern, sagt Engström, helfe ihm gegen die Angst vor dem Tod, die ihn seit vielen Jahren begleite. „Es stimmt mich unendlich traurig, daran zu denken, dass ich eines Tages sterben werde. Über einen Killer wie Licht zu schreiben macht es mir leichter, diese lächerliche Angst zu überwinden. Beim Schreiben habe ich die Kontrolle, während ich dem Tod hilflos ausgeliefert bin.“

Der Autor selbst war an jenem 9. November, als in Berlin die Mauer fiel, 14 Jahre alt. Ganz Schweden habe in dieser Nacht vor dem Fernseher gesessen, erinnert sich Engström. „Zum ersten Mal in seiner Geschichte sendete das schwedische Fernsehen rund um die Uhr. Ich war am nächsten Morgen so müde, dass ich in der Schule fast eingeschlafen wäre.“ Ihm sei schon als Jugendlicher klar gewesen, dass die Grenze zwischen Ost und West eines Tages fallen würde. „Diese Regime konnte sich auf Dauer nicht halten.“

Umso unverständlicher seien ihm die Klagen vieler Deutscher, die Bundesrepublik sei bis heute nicht geeint: „In jedem Land gibt es Unterschiede.  Nehmen Sie Schweden. Als Moslem oder als Schwuler können Sie in Stockholm problemlos leben. In Südschweden, wo es viele Rassisten gibt, laufen Sie Gefahr, eins aufs Maul zu bekommen, wenn Sie sich outen oder mit einem Kopftuch herumlaufen.“ Die Deutschen, sagt er, neigten schon immer zur Perfektion. „Also glauben sie, auch die Wiedervereinigung müsse perfekt laufen.“

Die deutschen Verlage begegneten Engströms Thriller zunächst mit Skepsis. „Sie fragten sich, warum ein Schwede ein Buch ausgerechnet über einen Stasi-Mitarbeiter schreibt.“ Für Engström liegt die Antwort auf der Hand. „Weil es lächerlich wäre, einen Thriller in Schweden spielen zu lassen. Dazu ist dieses Land einfach zu langweilig.“ Außerdem fasziniere ihn die deutsche Geschichte. „Jeder Europäer sollte sich dafür interessieren“, sagt er. „Aus guten und aus schlechten Gründen.“

Petra Pluwatsch

Der Zweiteiler läuft im ZDF am Sonntag, 24. November, und Montag, 25. November 2019, jeweils um 22.15 Uhr.

Thomas Engström: „West of Liberty“, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt, C. Bertelsmann, 320 Seiten, 15 Euro. E-Book: 3,99 Euro.

Engs

 

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