Als der Krieg zu Ende war: Fotograf Alfred Tritschler sucht die Nähe der Heiligen

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Die Sonderausstellung „Skulptur im Blick der Kamera“ im Museum Schnütgen Foto: Bücheratlas

Als der Krieg zu Ende war, hat der Fotograf Alfred Tritschler einige Sammlungsstücke des Museum Schnütgen in Köln mit seiner Kamera in schwarz-weißen Aufnahmen eingefangen. Das heißt: Er hat sie ansatzweise eingefangen. Erkennbar ging es ihm nicht um die Dokumentation  von gerettetem, aber noch in der Notaufnahme befindlichen Kulturgut.

Die Heiligen hat er nicht in voller Skulpturengröße fotografiert. Vielmehr suchte er immerzu die Nahaufnahme, das Antlitz, das Leid und die Verklärung, das Menschliche im Übermenschlichen, nicht den Kontext, sondern das individuelle Detail. Wer sich da einen Reim machen will auf Erfahrungen von Krieg und Massenwahn, wird ihn vermutlich sehr bald finden. Tritschler, so denken wir uns das, suchte die Wärme und Nähe der Kunst gewordenen Milde, der Clementia. So blickt er die Heiligen an, so nah rückt er ihnen ans Gesicht, wählt solche Winkel und solchen Lichteinfall, auf dass die hölzernen Gestalten lebendig werden. Individualität entfalten. Zuspruch spenden.

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Kruzifix aus einer Kreuzabnahme (rechts), entstanden vermutlich in Köln um 1230-1240. Alfred Tritschler konzentriert sich in seinen Porträts (links) allein auf das sanfte Antlitz des Gekreuzigten. Foto: Bücheratlas

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Pietà aus dem Umkreis des Meisters von Osnabrück um 1525 (rechts). Alfred Tritschler geht mit seiner Kamera sehr nah heran an die Mutter und ihren Sohn (links). Foto: Bücheratlas

Ein Fall für Spezialisten, mag man meinen. Nicht nur trifft in der Sonderausstellung des Museum Schnütgen in Köln das Mittelalter auf die Neuzeit, sondern die religiöse Kunst von einst auf die moderne Technik, das Gesamtbild auf den Ausschnitt, die Farbigkeit aufs Schwarzweiße. Aber gerade die Zusammenführung von solch unterschiedlichen Temperamenten ist von einem unerwarteten Reiz. Die Lehre vor allem: Mindestens zweimal mehr hinschauen als bisher. Es lohnt sich.

Wer aber war Alfred Tritschler (1905-1970)? Auch das: Ein Fall für sich. Iris Metje gibt im Ausstellungsbuch des Greven-Verlags einige Auskünfte. Tritschler, der aus Offenburg stammte und mit Paul Wolff (1887-1951) eine Bild-Agentur führte, war ein Foto-Pionier. So hatte er schon 1933 das erfolgreiche Buch „Meine Erfahrungen mit der Leica“  veröffentlicht. Wolff und Tritschler fotografierten die Olympischen Spiele von 1936, die Südamerikafahrt des Luftschiffs LZ 129 Hindenburg oder sorgten mit Industriebildbänden für Aufsehen.  Zu den Auftraggebern des „Lichtbildvertriebs OHG“ zählten ab 1936 auch die Rüstungsindustrie und das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.  Im Krieg war Tritschler Bildberichterstatter in Frankreich, Afrika und Russland.

Eine Karriere in der Nazi-Diktatur. „Dass sich aus diesem Umstand auch Fragen über mögliche persönliche Verflechtungen einerseits und zur Rolle der Fotografie andererseits ergeben, liegt nahe“, schreibt Iris Metje. Allerdings wolle sie diese Fragen nicht mit den Schnütgen-Aufnahmen in Verbindung bringen. Immerhin das noch: „Das bis heute bestehende Historische Bildarchiv Dr. Paul Wolff & Tritschler … gilt als bedeutendes Fotoarchiv für die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.“

Das Schnütgen-Konvolut entstand 1948, als Tritschler einige Sammlungsstücke fotografierte, unter anderem in Schloss Alfter, einem Ausweichquartier des im Krieg zerstörten Kölner Museums. Der Fotograf interessierte sich insbesondere für die Holz- und Steinskulpturen,  auch für Elfenbein und Goldschmiede-Arbeiten, aber nur wenig für die Textilkunst und überhaupt nicht für die Glaskunst. Wie es zum Kontakt zwischen Tritschler und dem damaligen Direktor Hermann Schnitzler gekommen ist, weiß man nicht. Auch ist der Anlass für die Aufnahmen ungewiss. Um eine Bestandsaufnahme kann es sich angesichts von Tritschlers selektiver Wahrnehmung der Objekte nicht gehandelt haben.

Die 90 Vintageprints aus dem Jahre 1948 lagerten jahrzehntelang unbeachtet im Museum. Nun  wird der „Überraschungsfund“ in Ausstellung und Buch präsentiert.

Martin Oehlen

Hinweise

Die Ausstellung „Skulptur im Blick der Kamera“ im Museum Schnütgen in Köln (Cäcilienstraße 29-33, Innenstadt) ist geöffnet bis 16. Februar 2020.

Vortrag von Hans-Michael Koetzle zum Werk der Fotografen Wolff & Tritschler im Museum Schnütgen am Donnerstag, 28. November 2019, 18 Uhr.

Eine Retrospektive des Werks von Wolff & Tritschler läuft bis 26. Januar 2020 in dem im Sommer eröffneten Ernst Leitz Museum Wetzlar.

Iris Metje: „Alfred Tritschler – Mittelalter-Fotografie“, Greven Verlag, 136 Seiten, 25 Euro.

Tritschler

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