Mit Thrillerautor Marc Raabe vom Pan-Brunnen bis zum Bahnwärterhäuschen

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Marc Raabe mit Elmo in Köln-Braunsfeld  Foto: Bücheratlas

Der Verkehrslärm der Aachener Straße liegt hinter uns. Ruhig ist es in der kleinen Seitenstraße, in der Thriller-Autor Marc Raabe und seine Familie wohnen. Gepflegte Altbauhäuser, kleine Vorgärten, im Laub rascheln ein paar Vögel. Vor 17 Jahren hat es den gebürtigen Erftstädter nach Braunsfeld verschlagen. „Ich mag dieses Viertel sehr“, sagt der Mann, dessen Bücher in ganz anderen Sphären spielen. Nicht etwa, weil Braunsfeld „so wahnsinnig schön“ sei, sondern wegen seiner Lebensqualität. „Alles liegt direkt vor der Haustür.“ Kindergarten, Schule, Uni. Stadtwald und Seniorenheim.

„Hier kann man wunderbar leben und alt werden“, sagt er. Und schwärmt gleich darauf vom Italiener um die Ecke, der wenig Wert auf Etikette lege. Von der Trinkhalle, wo es diese leckeren „bunten Tüten“ zu kaufen gibt. Und natürlich von der Buchhandlung Klinski in der Aachener Straße, in deren Hinterhof er vor sieben Jahren seine erste Lesung hatte. Kreuznervös sei er an diesem Abend gewesen, sagt Raabe, als wir loswandern Richtung Pauliplatz, der ersten Station unseres Spaziergangs. Dicht an seiner Seite: Elmo, der Familienhund, ein Import aus Gran Canaria. „Ich will immer alles perfekt machen und hatte Angst, mich zu blamieren.“ Das hat sich geändert.

Fünf erfolgreiche Romane hat der 51-Jährige seit 2012 veröffentlicht – hochkarätige Spannungsliteratur, die von den Kritikern als „teuflisch gutes“ und „süchtig machendes Kopfkino“ geschätzt wird. „Zimmer 19“, die kürzlich erschienene zweite Folge einer mehrteiligen Reihe um den Berliner LKA-Ermittler Tom Babylon, stand wie auch der Vorgängerband lange auf der Bestsellerliste.

Schnitzeljagd beim Hirtengott

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Der Pauliplatz mit dem Pan-Brunnen Foto: Bücheratlas

Vor uns liegt der Pauliplatz mit dem Pan-Brunnen. Kopfsteinpflaster, topsanierte Altbauten, die Straße ein sanft geschwungener Bogen. Auf diesem Platz hat Raabe vor Jahren eine erste Schnitzeljagd für seine Söhne veranstaltet. Die sind inzwischen 18 und 21 Jahre alt, und der Spaß ist schon eine Weile hierhin. Raabe kommt dennoch immer wieder gern hierhin: „Ich mag diesen tollen Brunnen und die Ruhe.“ An den vier Seiten einer Säule spitzen kleine Wasserspeier ihre Münder. Darüber, auf einer Kugel aus Stein, hockt der Hirtengott Pan und spielt versonnen auf seiner Flöte.

Der stille, asymmetrische Platz verdankt seinen Namen dem Ländereibesitzer Joseph Pauli und wurde 1914 anlässlich der Kölner Werkbund-Ausstellung angelegt. „Den Besuchern wurde dieser Platz als ein mustergültiges Beispiel empfohlen“, heißt es auf einer handlichen Informationstafel, die die einzelnen Stationen des „Kulturpfads Lindenthal“ auflistet. Besonders schön: die Häuser 38 bis 44 hinter dem Pan-Brunnen, eine „im Heimatstil der Zeit gehaltene Wohngruppe mit Giebeln, Erkern und Sprossenfenstern“.

„Ich habe mich schon immer für Geschichten interessiert“, erzählt Raabe, während wir weiterschlendern Richtung Aachener Straße. „Als Kind habe ich nächtelang unter der Bettdecke gelesen. Mit Taschenlampe und einer Tüte Gummibärchen.“ Als er 19 Jahre ist, versucht sich Raabe an einem ersten eigenen Roman. „Etwas in Richtung Fantasy, erzählt aus der Sicht eines Raben.“ Das geht gründlich schief. „Auf Seite 70 bin ich kläglich verhungert. Das Thema war wohl ein bisschen größer als ich.“ Raabe lässt erst einmal die Finger vom Romanschreiben und konzentriert sich stattdessen auf sein Kerngeschäft: aufs Filmemachen.

Gemeinsam mit einem Freund gründet er noch während der Schulzeit eine Filmfirma. „Wir hatten mit 15, 16 einen Super-8-Film mit Lego-Männchen gedreht und einen Wettbewerb gewonnen. Als dann auch noch ein Reporter in die Schule kam und über uns berichtete, fühlten wir uns wie George Lucas in klein. Kaum waren wir 18, sind wir zum Gewerbeamt gerannt und haben unsere Firma angemeldet.

„Vorsicht“, sagt Raabe, als wir zehn Minuten später an der Straßenbahnhaltestelle Maarweg die Aachener Straße überqueren. Die Linie 1 bimmelt eilig Richtung Innenstadt, auf vier Spuren rauscht der Nachmittagsverkehr vorbei. Rechts und links schmucklose Nachkriegsbauten, Restaurants und Backstuben. Die knapp zehn Kilometer lange Ausfallstraße hat eine lange, wechselvolle Geschichte. In der Römerzeit war sie ein Teilstück der „Via Belgica“. Im Mittelalter zog der König nach seiner Krönung in Aachen auf ihr zum Hahnentor, wo ihn der Kölner Erzbischof begrüßte. Am 6. Dezember 1918, knapp drei Wochen nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im Wald von Compiègne, marschierten die ersten britischen Truppen über die Aachener Straße nach Köln ein, um die Stadt erst sieben Jahre später wieder zu verlassen.

Wenn nicht jetzt, dann niemals

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In der Buchhandlung Klinski an der Aachener Straße hatte Marc Raabe seine erste Lesung. Foto: Bücheratlas

Die Buchhandlung Klinski ist unser nächstes Ziel. Ein Ort, an dem er stets mit Wehmut vorbeigehe, sagt Raabe. Seit er selber Romane schreibe, lese er aus Zeitmangel weniger als früher. Gabriele Klinski heißt den Autor herzlich willkommen. Im November 2005 hat sie sich ihren Traum erfüllt und eine eigene Buchhandlung eröffnet. Eine gemütliche Sitzecke lädt zum Lesen ein, das Sortiment ist vielseitig. In einer Ecke stapeln sich Kisten mit Büchern. Man müsse kämpfen, sagt Gabriele Klinski, wenn man sie nach dem Gang der Dinge fragt. Dennoch sei sie zufrieden und könne nicht klagen.

„Die Bühne ist weg.“ Raabe sieht sich ein wenig verblüfft im Hinterhof der Buchhandlung um. Die Bühne, auf der er im Mai 2012 zum ersten Mal aus seinem Debütroman „Schnitt“ las. „Und dort saß das Publikum.“ Er weist Richtung Mauer. Heute stehen nur noch zwei Bänke unter den hohen Platanen und warten auf die nächste Saison. Raabe habe ihre Buchhandlung oft besucht und sich für Krimis interessiert, erinnert sich Gabriele Klinski an die erste Kontaktaufnahme mit dem Autor. „Als er mir erzählte, dass er selber einen Psychothriller geschrieben hat, habe ich ihn sofort wegen einer Lesung angesprochen.“

Mit 40 habe er es noch einmal wissen wollen und einen letzten Anlauf gestartet, ein Buch zu schreiben, erklärt Raabe die Entstehung von „Schnitt“. „Ich wollte endlich mein eigenes Ding machen und dachte, wenn ich es jetzt nicht versuche, tue ich es nie mehr.“ Die Filmproduktion sei vor allem Teamarbeit. „Wenn ich hingegen ein Buch schreibe, bin ich ganz für mich und kann mit einem Federstrich alles ändern. Diesen Gedanken fand ich faszinierend.“ Die Freunde, denen er die ersten 100 Seiten zu lesen gab, reagierten mit verhaltenem Interesse. Unterstützung bekam er schließlich von Denis Scheck, der den Stoff vielversprechend fand. Und Raabe weiterempfahl an einen Hamburger Verleger. Auch der zeigte Interesse, winkte jedoch ab, nachdem er die kompletten 500 Seiten gelesen hatte. Immerhin: „Er hat mir erklärt, was ihn an den ersten 100 interessierte und was ihm an den nächsten 400 nicht gefiel.“ Also warf Raabe vier Fünftel des Manuskripts weg und baute auf den verbliebenen 100 Seite eine neue Geschichte auf.

Wir werfen einen kurzen Blick ins „Health Food Deli & Café Spatz“ auf der Aachener Straße. Das kleine Bistro mit der türkisfarbenen Holzbank vor der Tür serviert vegetarische Bowls, Schalen mit asiatischem Touch, die Raabe schätzt, „wenn es mal gesund sein soll“. Beim Lieblingsitaliener „Ars Vivendi“ holt er abends gern ein paar Pizzen oder ordert „Bufala Chef“. Worunter eine Art Auflauf aus gebratenen Auberginen, Tomaten und Mozzarella zu verstehen ist. „Bei Ars Vivendi kann man so klein und össelig reingehen, wie man gerade drauf ist, und es ist in Ordnung.“

Versteckte Leiter löst Polizeieinsatz aus

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Das einsame Bahnwärterhäuschen im Stadtwald Foto: Bücheratlas

Ein letzter Schlenker noch durch den nahen Stadtwald. Elmo zerrt an seiner Leine. Auch hier hat Raabe diverse Schatzjagden für die Söhne veranstaltet. „Einmal bin ich dabei fast verhaftet worden“, erzählt er, während wir die Gleise für die Güterzüge überqueren, die regelmäßig durch das Grün zockeln. Ein altes Bahnwärterhäuschen, längst außer Dienst, ist über und über mit Graffiti beschmiert. Von hier aus sind es kaum 200 Meter zum Hanns-Martin-Schleyer-Denkmal. Die schlichte, knapp fünf Meter hohe Säule aus dunklem Stein und das danebenstehende Holzkreuz erinnern an die Entführung und Ermordung des Wirtschaftsfunktionärs durch das RAF-Kommando „Siegfried Hausner“. Schleyers Dienstwagen wurde am 5. September 1977 in der nahen Vincenz-Statz-Straße überfallen, sein Fahrer und drei Leibwächter fanden dabei den Tod. Schleyers Leiche wurde am 19. Oktober 1977 in Frankreich im Kofferraum eines Autos gefunden.

Raabe deutet auf einen Baum in der Nähe der Säule. Dort oben, in einer Astgabel, habe er einmal einen Hinweis auf einen Schatz deponiert, den die Söhne und ihre Freunde finden sollten. „Ich hatte extra eine Leiter mitgenommen, die ich anschließend im Laub versteckt habe.“ Pech nur, dass ihn dabei ein Anwohner beobachtete und den einsatzfreudigen Vater für einen Einbrecher hielt, der einen nächtlichen Coup vorbereitete. „Als wir abends mit den Kindern vorbeikamen, haben sich sofort zwei Zivilfahnder auf mich gestürzt, die seit Stunden in den Büschen lagen, und wollten mich verhaften.“

Bleibt als letzter Tipp des Thriller-Experten noch die „Trinkhalle Kiosk Braunsfeld“, die keine Wünsche offenlässt. Zumindest nicht, wenn man wie Raabes Familie „bunte Tüten“ liebt. Die nämlich enthalten alles, was das Herz begehrt: Gummibärchen, Saure Gurken, Lakritz und Halbmonde. „Wenn die Kinder sich ein Eis holten, mussten sie immer eine bunte Tüte mitbringen“, erinnert sich Raabe ein wenig wehmütig.

Petra Pluwatsch

http://www.ksta.de

Zur Person:
Marc Raabe wurde 1968 in Köln geboren und wuchs in Erftstadt-Lechenich auf. Er ist Mitbegründet und Geschäftsführer einer Kölner Fernsehproduktionsfirma. 2012 kam  sein erster Thriller „Schnitt“ heraus. Kürzlich ist sein fünfter Roman „Zimmer 19“ im Ullstein-Verlag erschienen – eine Besprechung dazu gibt es HIER.

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