Jochen Schmidt weiß fast alles übers Laufen (und was Peter Handke davon hält)

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Es ist angerichtet. Foto: Bücheratlas

Jetzt laufen sie wieder. Eben noch beim Berlin-Marathon, jetzt beim Köln-Marathon, bald beim New-York-City-Marathon. Es ist halt Herbst. Dass freilich das Laufen eine Ganzjahres-Beschäftigung ist, wissen Marathon-Läufer besser als alle andere. Einer von ihnen ist Jochen Schmidt, der mit gewitzten und leicht melancholischen Romanen beeindruckt, mit „Schneckenmühle“ oder ein „Auftrag für Otto Kwant“ (eine Besprechung dazu gibt es HIER). Wie er es mit dem Laufen hält und vor allem, was er davon hält, steht in seinem Band für die Reihe „Gebrauchsanweisungen“ aus dem Piper-Verlag.

Da geht ihm niemals die Puste aus. Das Praktische und das Philosophische finden hier glücklich zueinander. Ein Buch, das nicht verklärt, sondern die Seitenstiche beim Namen nennt, und auch eines, das bekennt, nicht alle Fragen beantworten zu können. Zum Beispiel diese: Warum wirft ein Sieger beim Zieleinlauf die Arme in die Luft? Oder jene, warum „die Kenianer vom Stamm der Nandi so dominant sind, denn die meisten Faktoren müssten auch auf andere Regionen Afrikas oder der Welt zutreffen.“

Ansonsten kommt sehr vieles in diesem Laufwerk vor. Stile und Strecken, Genuss und Verdruss. Auch Peter Handke hat einen Auftritt. Vom neuen Literaturnobelpreisträger weiß Jochen Schmidt zu berichten, dass der Kollege „in vielen seiner Bücher bunt angezogene Jogger, die ihn im Wald beim Skizzieren von Laub und Wurzelwerk störten, beschimpft hat.“

Schmidts eigene Erfahrungen als Läufer sorgen für die hellsten Stellen in diesem sehr hellen Buch. Selbst da, wo er den Nimbus mindert. „Manche behaupten, wer einen Marathon gelaufen ist, schaffe in Zukunft alles, was er sich vornehme.“ schreibt Schmidt. „Bei mir hat das nicht funktioniert, ich kann mich wochenlang nicht überwinden, mein Bad zu putzen oder die leeren Flaschen zur Kaufhalle zu bringen, während ich in der gleichen Zeit 50 Kilometer in der Woche laufe und mich dabei teilweise bis zur Erschöpfung verausgabe.“

Bei Schmidt läuft der Schalk im Nacken immer mit, so scheint es. Seine Liste mit Anzeichen des Alterungsprozesses ist urkomisch. Letzter Punkt darauf: „Ich werde manchmal schon nostalgisch, wenn ich an meine alte Sparkassen-Geheimzahl denke.“ Und mit einem „Best of“ der Stellen, die ihm bei seinem gewiss intensiven Studium der einschlägigen Fachliteratur aufgefallen sind, klingt der Band aus. Unser persönliches Top-Zitat stammt aus der Trainings-Fibel „Der Laufsport“, erschienen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts: „Ein guter Freund oder Klubkamerad fahre mit dem Rade als Begleiter (Schrittmacher) mit. Dieser hat den Zweck, die Stimmung des Läufers durch fröhliches Pfeifen oder Singen, manchmal auch durch Taktzählen, recht heiter zu erhalten. Ein kleines Musikstück auf der Mundharmonika kann oft Wunder wirken.“

Jochen Schmidts „Laufen“ sei allen Läufern dringend empfohlen, das ist ja klar. Aber auch für Nicht-Läufer lohnt der Zugriff. Denn allein schon durch die Lektüre fühlt man sich gleich ein bisschen besser, als hätte man etwas für seinen Körper getan. Und der innere Schweinehund ist vollkommen still geblieben.

Jochen Schmidt: „Gebrauchsanweisung fürs Laufen“, Piper, 240 Seiten, 15 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

Schmidt

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