
Der Anfang des Notizbuches aus dem Jahre 1989 mit den Stationen auf dem Wege. Falls das Buch verlorengehen sollte, so legt es die Adresse nahe, möge es an den Verlag des Autors zurückgeschickt werden. Fotos: Deutsches Literaturarchiv Marbach
Es ist „ein schönes Durcheinander“, meint Peter Handke mit Blick auf seine Notizbücher. Die Aufzeichnungen, die er seit 1975 regelmäßig macht, seien eine „Mischung aus Vielerlei, ein Arbeitsjournal“. Mittlerweile hortet er die Notate nicht mehr im privaten Umfeld. Nachdem er 67 Notizbücher bereits im Jahre 2007 an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gegeben hatte, folgten im vergangenen Jahr weitere 154. Nun wird dieser Fundus, der gewiss Material für viele Forschungs-Arbeiten bereithält, in der wunderbaren Schriftenreihe „marbacher magazin“ gewürdigt. Ulrich von Bülow, Leiter der Abteilung Archiv in Marbach, macht in Essays und in einem Gespräch mit dem Autor mit der umfangreichen Archiv-Sache vertraut.
Insgesamt sind es über 33.000 Seiten. Die sind angefüllt mit handschriftlichen, nicht immer leicht zu entziffernden Notizen, auch mit Zeichnungen und Kritzeleien. Und ab und an liegen Objekte darin. Zeitungsausrisse, Blüten oder Federn. Denn das bekennt der Autor: „Ich kann schon vieles liegen lassen, aber keine schönen Federn.“ Apropos liegen lassen: Einmal hat er ein Notizbuch im Regen zurückgelassen, worauf anschließend die – in diesem Fall – mit Filzstift fixierten Worte zerflossen sind. Womöglich ein Fall für die Restaurierung.

Die Zeichnung erläutert Peter Handke im Gespräch. Es handele sich um Esskastanien, und das schwarze Blatt, auf das der Pfeil zielt, sei ein welkes.
Politisches oder Privates, das Abendessen da oder die Debatte dort – all das findet in den Notizbüchern keinen Niederschlag. Und mögen andere Zeitgenosse erst am Ende des Tages resümieren, was sich ereignet und ergeben hat, so hält Handke sein jeweiliges Journal allzeit griffbereit. Am liebsten in der linken Hosentasche. Denn selbst im Gehen gibt es oft Grund, zum Kugelschreiber zu greifen. Dann schreibt der Flaneur und Wanderer auch schon mal den Namen der Straße dazu, in der ihm ein Satz eingefallen ist: Wilmersdorfer Straße, Leibnizstraße…
Es gilt, den guten Gedanken zu fixieren: „Denn vieles, was einem so nebenbei als Form, als Sprachform begegnet, ist einen Moment da und verschwindet im nächsten wieder.“ Nicht gerade wie eine Sternschnuppe, sagt der Sprachpurist Handke zu von Bülow, aber doch „wie eine Art von Schnuppe“. Daher habe er es sich antrainiert, solche Schnuppen festzuhalten: „Ich kann ihnen versichern, das ist keine Manie. Ich bin nicht besessen davon. Es tut mir einfach gut. Es erdet mich oder lüftet mich, beides in einem.“
Es gilt, auf diese notierende Weise den Tag zu würdigen, der Ermutigung zum „carpe diem“ zu entsprechen. Aber es sind ausdrücklich keine Tagebücher. Festgehalten werden Fundsachen, die dann möglicherweise einfließen ins professionelle Erzählen, dort dann in andere Zusammenhänge gerückt und möglicherweise modifiziert, aber für jene, denen das Vergleichen bislang möglich war, durchaus wiedererkennbar. Auch liegen einige der Notizbücher in gedruckter Form als „Journal“ vor. Für die Veröffentlichung wurden sie allerdings gekürzt um allerlei, seien es Träume oder Lektüreeindrücke oder manches mehr, was dem Autor verzichtbar erschien.

Eine Feder ist als Fundsache in diesem Notizbuch untergebracht. Hier auch die Formulierung vom 9. Mai 2012: „Zum Tagesanfang eine Wanderkarte studieren: Ideal“.
Diese Notizbücher haben eine Struktur, die sich nicht im chronologischen Aufschreiben erschöpft. So durchziehen allerlei „Reihen“ die Bände. Wann immer sich ein Gedanke anbietet, der in die Schublade hineinpasst, wird er dort hinein verfrachtet. So lautet ein Eintrag in der Rubrik „Ideale“: „Zum Tagesanfang eine Wanderkarte: Ideal.“ Und dann wohl am besten gleich losziehen, mit dem Tagebuch in der linken Hosentasche.
Martin Oehlen
„Das stehende Jetzt – Die Notizbücher von Peter Handke“, mit Beiträgen von Ulrich von Bülow, herausgegeben vom Deutschen Literaturarchiv Marbach als „marbacher magazin 161“, 148 Seiten, 18 Euro.