Taiwan ist nicht die Top-Adresse im weltweiten Tourismus. Aber Attraktionen gibt es auch in diesem asiatischen Land zu entdecken. Wir haben einen Teil der Strecke am Steuer eines Pkw absolviert. Wie das losging und was da ins Auge springt, steht im ersten Beitrag unseres Dreiteilers. Im zweiten Teil geht die Fahrt weiter und führt auch zu allerlei Kochkünstlern. Schließlich widmet sich der dritte Teil den Bücherspuren im Land.

Taiwans Ostküste hat starke Seiten. Foto: Bücheratlas
Taiwan ist heute ein modernes demokratisches Land, das sich beharrlich gegen die Vereinnahmung durch die Volksrepublik China zu wehren weiß. Diesen Geist meint man auch im Nationalen Literaturmuseum der Hauptstadt zu spüren, das 2003 eröffnet worden ist. In dem Bau von 1916, der die europäische Architektursprache zitiert, wird ausdrücklich betont, wie sehr Taiwan und seine Literatur auf den internationalen Austausch angewiesen seien. Es herrsche ein „Hunger nach neuen und anderen Inhalten“, den man stillen wolle. Und dass das Internet diesen Dialog befeuern könne, wird lobend erwähnt. Das klingt für uns selbstverständlich. Aber in unmittelbarer Nachbarschaft zum Riesen China, der weiterhin Anspruch auf Taiwan erhebt und wenig hält von Netzfreiheit und Meinungsvielfalt, ist dies ein politisches Statement.
Einige Möglichkeiten gibt es, sich durch Taiwan zu bewegen. Es muss nicht immer das Auto sein. Die sportlichste Variante ist die 1200 Kilometer lange Inselumrundung per Rad. Sie gilt als eine der drei großen Herausforderungen für jeden Taiwaner – neben der schwimmenden Durchquerung des Sonne-Mond-Sees (3,3 Kilometer) und der Besteigung des Jadeberges (3952 Meter), auch Mount Yushan genannt. Allerdings haben wir niemanden getroffen, der den Dreikampf komplett absolviert hat.
Wie auch immer man sich entscheidet – Stärkung tut not. Ein guter Übergang im Text? Na ja. Aber unbedingt müssen wir vom Essen reden, denn die Speisekarten sind fantastisch. Einflüsse aus allen asiatischen Himmelsrichtungen gibt es, nicht zuletzt aus Japan, unter dessen Kolonialherrschaft das Land von 1895 bis 1945 gestanden hat. Eine Wucht sind die gefüllten Xialongbao-Teigtaschen mit ihren jeweils 18 Falten im Restaurant Din Tai Fung in Taipehs „101“. Lecker das gekochte Ei in frittiertem Sägefischbrei, am Holzstiel dargereicht auf dem Markt der Hafenstadt Kaohsiung. Würzige „Hot Pots“, in denen der Gast das Fleisch und Gemüse in 40 Variationen selber garen darf, köcheln am Baisha Beach, wo der aus Taiwan stammende Regisseur Ang Lee einige Szenen für „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ gedreht hat. Ein kalter, überraschend erfrischender Zitronensaft-Kaffee wird in Hualien serviert. Nicht für jeden eine Delikatesse sind die leicht dumpf schmeckenden gelben Ginko-Früchte – aber interessant. Spektakulär hingegen die kandierten Süßkartoffelbrocken, die so heiß auf den Tisch gelangen, dass man sie in Eiswasser kühlen muss. Die ziehen dann schöne Fäden. Der Schokoladen-Hersteller Fu Wan bietet auch Raritäten mit Krabben-Einlage (Pink Shrimp oder Thay Curry Shrimp) an. Was noch? Klebrige Reisbällchen, Mochi genannt, die mit süß schmeckender Bohnenpaste gefüllt sind. Milchfisch mit Ananas-Sauce. Betelblütensalat.
Ein „Must“ in der alten Hauptstadt Tainan (woraus der Landesname abgeleitet wurde) ist laut „Michelin“-Expertise der Schweinebraten in Schalotten-Sauce. Die immer dicker werdende Kruste am Kessel, in dem das Restaurant Du Hsiao Yueh die Speise zubereitet, wird seit 30 Jahren sorgfältig kultiviert. Der Vorgänger-Kessel brachte es auf 100 Jahre ohne Reinigung – dann brach der Boden durch. Die Sehenswürdigkeit wird in einer Vitrine ausgestellt. Keine Sorge: Die Spezialität schmeckt nicht nur, sondern ist rundum bekömmlich.
Auch die Küche der Ureinwohner kann man in Restaurants genießen. Überhaupt heißt es, dass die Aufmerksamkeit für die indigenen Stämme zunehme. Das größte unter den kleinen Völkern ist mit rund 200.000 Angehörigen das Volk der Amis. Zu ihnen gehörte Teruo Nakumara, der von den japanischen Besatzern zwangsrekrutiert worden war und der das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mitbekommen hatte. Erst 1974 konnte er im Urwald einer kleinen indonesischen Insel überzeugt werden, dass längst Frieden herrschte und er nach Taiwan zurückkehren konnte. Er starb schon fünf Jahre später.
Ja, und dann gibt es noch einen Spezialtrip. Von dem heißt es: „Diese Reise wird Dein Leben verändern!“ Unübersehbar prangt das Versprechen am Eingang zum – nein, nicht zum Autoverleiher, sondern zum Lift des gigantischen „101“ in Taipeh. Die Zahl 100 steht in Taiwan und darüber hinaus für Perfektion, und weil dieser Turmbau zu Taipeh perfekter als perfekt sein soll, hat er nicht 100 Etagen, sondern eben 101. Das Wahrzeichen, das einem Bambusstab gleicht, ist 508 Meter hoch. Alle Jahre wieder funkelt es mit seinem Silvester-Feuerwerk im Fernsehen. Nach Sydney und vor New York. Es ist tatsächlich überragend.
Mit dem „schnellsten Aufzug der Welt“ geht es hoch hinauf. Nur 37 Sekunden dauert die Fahrt von der Startrampe im 5. Stock bis hinauf in den 89. Stock – und schon hat man die lebensverändernde Reise hinter sich. Was jetzt genau anders ist in Kopf und Körper, müsste untersucht werden. Aber dafür ist keine Zeit, weil man sich nun auf der Aussichtsplattform dem Panoramablick auf das Häusermeer hingeben möchte. Und man blickt hinab auf eine Verkehrslage, die es in sich hat. Es war wohl ein ganz guter Rat, nicht schon in Taipeh das Lenkrad zu ergreifen.
Hinweis
In einer früheren Version des Artikels hieß es, der „high speed elevator in Taipei 101“ benötige 40 Sekunden für die über 80 Stockwerke. Michelle Chiu, die uns in Taiwan begleitet hat, macht darauf aufmerksam, dass er tatsächlich drei Sekunden schneller ist. Besten Dank für die Korrektur!
Der erste Teil unseres Taiwan-Trips findet sich HIER.
Der dritte Teil findet sich HIER.
Martin Oehlen
Diese Reise wurde unterstützt vom Taiwan Tourism Bureau.