Die Kunst des letzten Satzes beim Bachmann-Preis in Klagenfurt

Federer2 (2)

Live auf 3sat: Lesung von Yannic Han Biao Federer in Klagenfurt.  Foto: Bücheratlas

Berühmte letzte Sätze vor dem Dahinscheiden – das ist ein Sammlungs-Gebiet für sich. „Mehr Licht“ oder „So musste es ja enden“. Das gilt fürs Leben. Aber nicht so sehr für die Literatur. Da stehen die ersten Sätze im Vordergrund. Weil diese den Ton fürs Ganze vorgegeben. Nun aber Klagenfurt! Der Bachmann-Preis!

Der Kölner Autor Yannic Han Biao Federer, von dem jüngst der Debüt-Roman „Und alles wie aus Pappmaché“ (Suhrkamp) erschienen ist, las bei den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur den Text „Kenn ich nicht“. Eine Trennungs-Geschichte, artistisch gebaut, mit doppeltem Boden, etwas Ironie und sehr viel Verlustschmerz. Und mit einem letzten Satz, der die Jury-Diskussion dominierte: „Am Hafen scheißt mir eine Möwe in die rechte Sandale, es stinkt und klebt.“

Da sagte der eine Juror, dass dieser letzte Satz „unbefriedigend“ sei. Worauf der nächste feststellte, dass aber genau dieser letzte Satz „nachgerade genial“ sei. Ein dritter merkte an, dass dieser letzte Satz auf jeden Fall schon jetzt den Preis für den besten letzten Satz sicher habe, wenngleich er, der Kritiker, den Text insgesamt „na ja“ finde, was ein Zitat aus dem eben vernommenen Text war. Diesem „na ja“ widersprachen dann weitere Juroren, priesen das „grandiose Spiel“ und hatten an dem letzten Satz nichts auszusetzen. Worauf die siebte in der Runde meinte, dass sie den letzten Satz „gar nicht“ möge, einfach so, ohne Begründung. Na ja.

Schon ist man sensibilisiert, aber nicht überzeugt, Kritiken künftig vom letzten Satz an aufzuzäumen. Aber wie gesagt – sensibilisiert. So sehr, dass wir uns die letzten Sätze derer angesehen haben, die bislang in der Hitze des Kärntner ORF-Studios aufgetreten sind. Und zwar vom bislang letzten Vortragenden bis zu ersten Vortragenden des Wettbewerbs. Ein Potpourri aus lauter Enden. Bitteschön!

Tom Kummer: „Über mir ziehen die grünen Schilder der A1 hinweg.“

Daniel Heitzler: „Die Kapelle war sogar in die Grundstückspläne beider Besitztümer eingezeichnet – es hatte sich nur nie jemand die Mühe gemacht, in den Büchern nachzusehen.“

Birgit Birnbacher: „Ich möchte singen.“

Ronya Othmann: „Er hat gesagt, du musst keine Angst haben.“

Yannic Han Biao Federer: „Am Hafen scheißt mir eine Möwe in die rechte Sandale, es stinkt und klebt.“

Andrea Gerster: „So aus dem Stegreif fröhliche Omama spielen, das kann ich.“

Julia Jost: „Ein grässliches Jaulen hörte man, bis hinunter in jenes Tal, das man von nun an Schakaltal nannte, und das davor ganz anders geheißen hatte, ganz anders.“

Silvia Tschui: „Der Hartmut ist kein Wurm.“

Sarah Wipauer: „Der Teil der Sojus, in dem sich das von Maria Christine von Pirquet gebohrte Loch befindet, wird am 20. Dezember 2018 bei der Rückkehr von Serena Auñón-Chancellor, Sergei Prokopjew und Alexander Gerst zur Erde vom Landemodul abgesprengt werden und verglühen.“

Katharina Schultens: „Jetzt sind wir ein Chor, jetzt sind wir nicht mehr allein.“

Am Samstag folgen noch vier weitere letzte Sätze. Mal sehen, ob die so stark sein können wie die bisherigen.

Martin Oehlen

Noch mehr letzte Sätze (vom Abschlusslesetag) gibt es jetzt HIER.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s