
Die Zaubererbank Gringotts wird von Kobolden geführt. Foto: Bücheratlas
Kurz vor der Winkelgasse wartet das Grauen. Zerborstene Säulen, umgestürzte Schreibpulte. Die Luft ist schwer von Staub. Und dann hört man es. Dieses Zischen und Schnauben. Ein Schatten löst sich aus der Dunkelheit, und plötzlich steht er zwischen den Trümmern, ein Drache mit aschgrauer Haut und spitzen Zähnen. Reißt röhrend sein großes Maul auf und ein glutroter Feuerstrom ergießt sich über das, was einmal die Große Halle von Gringotts, von Großbritanniens einziger Zaubererbank war.
Willkommen bei der „Warner Bros. Studio Tour London – The Making of Harry Potter“, dem Mekka von Millionen Potter-Fans. Die Dauerausstellung im beschaulichen Örtchen Leavesden rund 30 Kilometer nördlich von London ist jetzt um eine Attraktion reicher. Rund 15.000 Quadratmeter, verteilt auf mehrere Hallen, umfasst die nagelneue und überaus lohnenswerte Sektion „Zaubererbank Gringotts“. Zu sehen unter anderem: Die perfekt nachgebaute Kulisse der Großen Halle, wo griesgrämige Kobolde ihre Goldmünzen zählen und mit krummem Buckel über Stapeln vergilbter Papiere hocken. Überdimensionale Kristallleuchter, zusammengesetzt aus bis zu 30.000 Einzelteilen, tauchen den Saal in ein gedämpftes Licht. Auf den Schreibpulten stehen altmodische Tintenfässer, Goldwaagen und Schreibkiele – liebevoll gestaltete Details, die man aus den Filmen kennt.
Weiter geht es in das Lestrange-Verlies, in dem die berüchtigte Hexe Bellatrix Lestrange, geborene Black, ihre Schätze versteckt: Berge von Gold, Schmuck und wertvolle Pokale. Irgendwo an der Decke muss der Trinkpokal der Hufflepuffs hängen, wo Lord Voldemort der Schreckliche einen Teil seiner Seele versteckt hat. Im letzten Saal schließlich liegt die Nobelbank der geschäftstüchtigen Kobolde zu großen Teilen in Schutt und Asche. Alle zwei Minuten stampft der aschgraue Drache durch die Trümmer des Großen Halle – Film-Experten werden die Szene aus „HP und die Heiligtümer des Todes – Teil 1“ wiedererkennen.
„Gringotts“ ist die mittlerweile dritte Erweiterung des gigantischen Potter-Reichs, das seit seiner Eröffnung im März 2012 täglich rund 6000 Besucher verzeichnet. Insgesamt haben in den vergangenen sieben Jahren etwa zwölf Millionen Menschen die Mammut-Schau um den Teenie-Zauberer und seine Freunde gesehen – trotz stattlicher Eintrittspreise von mehr als 40 Pfund. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr. Seit im Jahr 2000 in den örtlichen Studios „Harry Potter und der Stein der Weisen“ gedreht wurde, gehört Leavesden zu den magischen Orten der millionenstarken Potter-Gemeinde.
Bereits die erste Folge der achtteiligen Filmserie, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Joanne K. Rowling, läutete einen weltweiten Hype ein. „Harry Potter und der Stein der Weisen“ spielte weltweit knapp eine Milliarde US-Dollar ein, auch die folgenden sieben Folgen der Serie, allesamt Blockbuster, wurden in den Studios von Leavesden gedreht.
Ursprünglich gehörte der heutige Studiokomplex dem britischen Flugzeugfabrikanten de Havilland, der dort während des Zweiten Weltkriegs im Auftrag der britischen Regierung Kampfflugzeuge herstellte. Von 1994 an wurden die inzwischen verlassenen Hangars von verschiedenen Filmfirmen als Studios genutzt.
In der einstigen „Flugzeugstadt“ Leavesden entstanden Filme wie „Golden Eye“ mit Pierce Brosnan in der Rolle des James Bond, „Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung“ und Tim Burtons „Sleepy Hollow“. Warner Bros. kaufte das rund 50 Quadratkilometer große Gelände 2010 nach Abschluss der Dreharbeiten zur achten und letzten Folge der Erfolgsserie. Zwei Jahre später wurde in dem Studiokomplex die HP-Dauerausstellung eröffnet. Zu den Exponaten zählen neben zahlreichen Filmkulissen Hunderte Originalkostüme, Masken, Requisiten – und Harrys charakteristische Stirnnarbe in zweifacher Ausfertigung. Die Fans können einen Blick in Harrys Schlafsaal werfen oder durch die Winkelgasse schlendern, eine Einkaufsmeile für Zauberlehrlinge, wo es Eulen, Bücher, Zauberstäbe und natürlich Weasleys berühmte Kotzpastillen zu kaufen gibt.

2015 wurde die Studiotour um den Bereich „Hogwarts Express“ erweitert. Foto: Bücheratlas
Drei Jahre nach der Eröffnung wurde der Ausstellungsbereich erstmals um den knapp 1900 Quadratmeter großen Komplex „Hogwarts Express“ erweitert. Zu dessen Highlights gehören die Original-Filmdampflok und ein Nachbau von Gleis 9¾, jenem legendären Bahnsteig in der Londoner King’s Cross Station, von dem der Hogwarts Express abfährt. 2017 kam ein weiterer Bereich dazu: der „Verbotene Wald“, in dem Riesenspinnen und geflügelte Hippogreife leben.
Und nun also die Zaubererbank Gringotts, die bislang größte und vermutlich teuerste Erweiterung des Potter-Kosmos. Lohnen dürfte sich die Investition allemal. Die Pottermania ist ungebrochen, selbst 22 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Buches von Joanne K. Rowling. Bislang wurden weltweit mehr als 500 Millionen Exemplare der Potter-Saga verkauft, über eine Neuverfilmung wird angeblich bereits nachgedacht.
Petra Pluwatsch
Die Autorin reiste auf Einladung von Warner Bros. nach London.