
Die Macht der Frau: „Die Dulle Griet“ (auch: Die Tolle Grete) zieht mit Schwert und Pfanne ins Feld. Das Werk, 1563 entstanden, befindet sich in Antwerpen im Museum Mayer van den Bergh. Foto: Taschen Verlag
Die Welt ist ein Rätsel. Mal ist sie von schierer Lebenslust gepackt, mal vom tödlichen Furor erfasst. Den beiden Polen des Menschseins hat sich Pieter Bruegel d. Ä. (um 1526/30 – 1569) ein ums andere Mal in seinen Meisterwerken gewidmet, die nicht selten Wimmelbildern gleichen. Dass dieses im Sinne des Wortes vielgesichtige Werk weiterhin fasziniert, steht fast 450 Jahre nach seinem Tod außer Frage. So wie die Welt sich hier im Bilde zeigt, kann man ihr nicht recht trauen – vielleicht macht das Bruegels Aktualität im Jahre 2018 aus.
Die anhaltende Bildpower wird nun dokumentiert durch zwei Ereignisse. Zum einen findet im Kunsthistorischen Museum in Wien die weit ausladende Bruegel-Ausstellung „Die Hand des Meisters“ statt. Und zum anderen legt der Kölner Taschen Verlag einen großformatigen Prachtband mit sämtlichen Werken des Künstlers vor.

Ein Riss geht durch dieses Gemälde aus dem Jahre 1559: „Der Kampf zwischen Fasching und Fasten“ (auch: Streit des Karnevals – linke Bildhälfte – mit der Fastenzeit – rechte Bildhälfte) von 1559, zu besichtigen im Kunsthistorisches Museum in Wien. Und im Hintergrund sitzt im Fenster eine Karnevalsfigur als Beobachter des Treibens, im Kölnischen unter der Bezeichnung „Nubbel“ vertraut. Foto: Taschen Verlag
Deutlich wird darin in Totalansichten und Detailausschnitten der enzyklopädische Ansatz des Künstlers, der alle Facetten des Daseins zu erfassen versucht. Seien es die Qualen der Vorhölle oder die unendlichen Bauarbeiten zu Babel (nein, nicht am Kölner Offenbachplatz), seien es die Kinderspiele des späten Mittelalters oder die Fasten- und Fastnachtsbräuche jener Jahre. Allemal ist Bruegels Leidenschaft für Akribie und subtile Anspielungen zu entdecken. Eine schaurig-schöne und todernst-lustige Vogelschau. Deren Interpretation ist freilich zuweilen äußerst komplex und daher umstritten.
Die Autoren Jürgen Müller (Professor an der TU Dresden) und Thomas Schauerte (Leiter des Dürer-Hauses in Nürnberg) liefern die ausführlichen kunsthistorischen Einlassungen dazu. Sie würdigen den flämische Maler und Zeichner als Aufklärer, der – geprägt von den Kriegen seiner Zeit – immer wieder vor Augen führt, „wie der christliche Glaube in Terror umschlägt.“ Den Künstler sehen sie als Avantgardisten, der nicht die etablierte Kunst-Tradition pflegen wollte, sondern allen neuen Anregungen zugetan war. Seine Werke seien auch Ausdruck des Bewusstseins von der Flüchtigkeit der Zeit, was durchaus modern anmutet. Der Abgleich zwischen Bild und Deutung ist in diesem abermals exquisit edierten, mit brillanten Farben beeindruckenden Band eine Freude.
Martin Oehlen
Jürgen Müller und Thomas Schauerte: „Bruegel – Das vollständige Werk“, Taschen, 492 Seiten, 150 Euro.
Die Wiener Ausstellung „Bruegel – Die Hand des Meisters“ ist bis 13. Januar 2019 im Kunsthistorischen Museum zu sehen.
Der Katalog dazu erscheint bei Belser (304 Seiten, 49,90 Euro).
Wien ist mir zu weit, aber den Folianten habe ich meiner Kunstbuchsammlung einverleibt:
https://meinkunstbuch.wordpress.com/2018/09/21/pieter-bruegel-das-vollstaendige-werk/
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Gute Entscheidung: Die Ausstellung sozusagen auf Dauer gestellt.
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