
Foto: Bücheratlas
Saskia Morris ist tot. Verhungert, verdurstet und anschließend irgendwo in der Wildnis der nordenglischen Hochmoore weggeworfen wie ein ausgemustertes Stück Möbel. Die Polizei von Scarborough ist alarmiert. Umso mehr, als wenig später ein weiteres junges Mädchen vermisst wird. Amelie Goldsby, ein renitentes kleines Biest von 14 Jahren, verschwindet von einem Supermarktparkplatz. Sie sollte im Auto auf ihre Mutter warten.
Es stand von vornherein fest, dass auch „Die Suche“, der jüngste Kriminalroman von Charlotte Link, ein Bestseller wird. Keine deutsche Autorin ist derzeit so erfolgreich wie die zurückhaltende 55-Jährige, die mit 16 Jahren ihr erstes Buch schrieb. 24 Romane, darunter mehrere historische Werke, vier Jugendbücher und ein autobiografischer Text über den Krebstod ihrer Schwester hat sie seit 1985 veröffentlicht. Die Gesamtauflage ihrer Bücher beträgt rund 26 Millionen Exemplare. Zahlen wie diese muss man erst mal toppen.
Stets rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse erscheint im Ein-, manchmal im Zweijahresrhythmus „eine neue Link“. Sie sei ein sehr disziplinierter Mensch, sagte die Autorin vor zwei Jahren im Interview mit mir. Kaum sei ein Buch abgeschlossen, beginne sie, über das nächste nachzudenken. Im Januar fange sie dann an zu schreiben. Obwohl sie diesbezüglich gern etwas gelassener wäre. „Einfach mal sagen: So, heute komme ich nicht pünktlich, und das nächste Buch liefere ich auch nicht rechtzeitig ab, weil mir nämlich gerade mal alles egal ist.“ Doch noch sei sie nicht so weit.
So hat sich Charlotte Linke schon bald nach dem Erscheinen von „Die Entscheidung“ wieder an den Schreibtisch gesetzt und nachgedacht. Über einen überzeugenden Plot, über Figuren, die es wert sind, ihnen mehr als 600 Seiten zu folgen. Und über einen Schluss, der so überraschend ist, dass auch versierte Krimileser komplett überrumpelt sind.
Charlotte Link bewegt sich in ihrem jüngsten Roman auf vertrautem Terrain. Wie so viele ihrer Bücher („Das Haus der Schwestern“, „Die Rosenzüchterin“, „Im Tal des Fuchses“) spielt das Buch in England, dem Land, das die Autorin so gut kennt wie kein anderes. Die Figuren, Chief Inspector Caleb Hale und seine Kollegin Detective Sergeant Kate Linville von Scotland Yard, kennt man bereits aus dem vor drei Jahren erschienenen Krimi „Die Betrogene“.
Kate Linville, eine unscheinbare Frau von Anfang 40, ist zurückgekehrt nach Scarborough, um ihr Elternhaus zu verkaufen und endlich aufzuräumen mit alten Erinnerungen, die ihre Seele belasten. Ein unglücklicher Zufall lässt sie für ein paar Tage bei der Familie Goldsby unterkommen, deren Tochter verschwunden ist. Und schon steckt die Scotland-Yard-Mitarbeiterin mittendrin in Ermittlungen, die nicht die ihren sind und mit denen sie dem zuständigen Ermittler Caleb Hale bisweilen gehörig in die Parade fährt. Dass sie mit einem der Zeugen Hals über Kopf ein Verhältnis beginnt, macht die Sache nicht besser.

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Charlotte Link nimmt sich wie immer viel Zeit, um ihre Figuren zu entwickeln und die Spannung peu à peu zu steigern. Immer wieder wechselt sie die Erzählperspektive. Die Handlung ist chronologisch aufgebaut und wird nur gelegentlich durch kurze Erinnerungen des unbekannten Täters unterbrochen. Bald verschwindet ein weiteres junges Mädchen, Mandy Allard, um die sich keiner sorgt außer der Sozialarbeiterin Carol. Ist auch Mandy das Opfer des Hochmoorkillers geworden? Zumindest Kate Linville mag das bald nicht mehr ausschließen.
Während in ihrem vorletzten Buch „Die Entscheidung“ ein so brisantes Thema wie der internationale Menschenhandel als Aufhänger diente, verzichtet Charlotte Link in ihrem jüngsten Roman auf jedweden gesellschaftskritischen oder politischen Ansatz. Was beileibe kein Fehler ist. Ihre Absicht sei, die Menschen mit ihren Büchern so zu fesseln, „dass sie bis zur Seite 500 nicht mehr aufhören können zu lesen“ und „mit realistischen Themen Hochspannung zu erzeugen“, sagt die Autorin im Interview. Das ist ihr bestens gelungen. „Die Suche“ ist ein erfreulich handfester, breit erzählter Krimi, den man locker in einem Stück wegliest, ohne sich auch nur eine Minute zu langweilen.
Petra Pluwatsch
Charlotte Link: „Die Suche“, Blanvalet, 656 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
Danke für den Tipp:-)
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Sehr gerne! Und vielen Dank fürs Folgen!
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