
„Römisches Feuer“ erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der taumelnd eine fremde Identität annimmt – und sodann ein größeres Problem hat. Die römische (um nicht zu sagen: vatikanische) Engelslockengestalt auf unserem Bild sieht so aus, als könnte sie Mitleid mit Franz Wercker empfinden. Oder denkt sie nur: „Das fass‘ ich nicht!“? Foto: Bücheratlas
Franz Wercker hatte einen Traum. Von dem erzählt der Kölner Schriftsteller Christian Schnalke in seinem Debütroman „Römisches Fieber“: „Jahrelang hatte Franz davon geträumt, aufzusteigen vom Sohn eines Tagelöhners zu einem respektierten, vielleicht sogar angesehenen Dichter, doch seine geduldigen heimlichen Studien, all die durchlesenen und durchschriebenen Nächte, in denen er mit fiebernden Augen und glühendem Herzen in die Welt der Dichtung versunken war, hatten ihm nichts eingebracht als Verachtung und Prügel des Vaters.“
Christian Schnalke hatte einen ganz ähnlichen Traum. Der erfolgreiche Drehbuchautor wollte, so sagte er es in einem Interview mit dem Fachmagazin „Buchreport“, endlich einmal ein selbst verfasstes Buch in Händen halten. Er habe Umwege und Zwischenstationen genommen, habe gegen den Strich gebürstet und eigenwillige Dramaturgien entwickelt – „und mir auf diese Weise einige begeisterte Absagen eingehandelt“. Dann aber kam der Tag, an dem die Sonne aufging und der Piper Verlag meinte: Das passt.
Schnalke liebt das pralle Erzählen, in dem die Farben kräftig leuchten. Die bildmächtigen Schilderungen und die Tempowechsel mögen Hinweise darauf sein, was Schnalke als erfolgreicher Verfasser von Drehbüchern gelernt hat. Auch dürften die beiden Kriminalromane, die er gemeinsam mit Volker Kutscher in den 90er Jahren schrieb und die bei Emons in Köln erschienen, einige Spuren hinterlassen haben. Jedenfalls packt Schnalke den Leser bereits nach wenigen Zeilen, in denen der Romanheld halb verhungert aus einem Kerker entkommt, und zieht ihn weiter fort nach Rom. Denn dieser kulturelle Hotspot des 19. Jahrhunderts war für Franz Wercker „das Ziel seiner Wünsche und Sehnsüchte“.
Was zunächst utopisch scheint, wird durch einen burlesken Mantel-Wechsel am Gardasee möglich: Unter falscher Identität – nämlich der des aufstrebenden Dichters Cornelius Lohwaldt aus Nürnberg, der mit einem Stipendium des bayerischen Königs versehen ist – gelangt Franz an die Stätte seiner Träume. In Rom wird er Teil der deutschen Künstlerkolonie am Monte Pincio. Da treffen historisch verbürgte wie frei erfundene Personen aufeinander, gibt es die eine oder andere Liebe und die eine oder andere Leiche zu vermelden, sind die Kunstdebatten so alltäglich wie die Tratschereien im Caffè Greco.
Mittendrin Franz Wercker, der notgedrungen zur Feder greift und den Text „Römisches Fieber“ zu Papier bringt – unter dem Namen des armen Lohwaldt. Als dessen Schwester Isolde eines Tages in Rom erscheint, gesteht Franz ihr (und zunächst nur ihr), nicht der zu sein, für den ihn alle halten. Dann die Überraschung: Isolde schickt sich an, das falsche Spiel weiterzuspielen – zusammen mit ihm. Franz, der in die Malerin Clara (angelehnt an die reale Louise Seidler) verliebt ist, weiß eine Weile nicht, wo ihm der Kopf steht. Und Isolde, die Kanaille, übernimmt das ziemlich kriminelle Kommando.
Schon in seinen bisherigen Arbeiten favorisierte Schnalke das biografische Erzählen. Davon zeugen Drehbücher, in denen es um die Krupps, um Katharina Luther oder die deutsche Kolonialzeit in Afrika geht. Mit dem römischen Reigen nun erweist er sich als geschickter Porträtist. So ist dieser Roman einer Identitätsfindung nicht nur ein leichtes Lesevergnügen, sondern überzeugt auch mit einer soliden kulturhistorischen Basis. Wer so populär schreibt, muss wohl nicht lange auf den zweiten eigenen Roman warten.
Martin Oehlen
Christian Schnalke: „Römisches Fieber“, Piper, 394 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
Lesungen in Köln: Buchhandlung Baudach (Dellbrücker Hauptstraße 111, 51069 Köln) am 7. und am 13. September um 19.30 Uhr.