
„Das Schloss“ im Schuber: Sechs „Hefte“ plus Materialienband und CD
Der deutsche Buchmarkt ist für viele wertvolle Neuerscheinungen gut. Gerade auch im Windschatten der Bestsellerlisten. So wächst seit Jahr und Tag die historisch-kritische Ausgabe eines Neuzeit-Klassikers: die Franz-Kafka-Edition. Der Stroemfeld-Verlag meistert diese Herausforderung mit Glanz und Gloria, was jetzt die Herausgabe des unvollendeten Romans „Das Schloss“ bestätigt. Da wird dem Faksimile der Handschrift Seite für Seite die penible Umschrift gegenübergestellt – mit allen Strichen, Korrekturen, Einschüben. Auch Notizen des Kafka-Freunds Max Brod werden solcherart konserviert: „Hier beginnt der Roman »Das Schloß« M. B.“. Bei der nicht immer eindeutigen Seitenfolge führt Herausgeber Roland Reuß auch mal Reissspuren und Tintenfarben ins Feld: Da wird der Germanist zum Detektiv.
Als Kafka 1922 mit dem Roman begann, war er mit seinen Kräften am Ende. Im böhmischen Kurort Spindlermühle war ihm wohl der Akt des Schreibens selbst die beste Arznei. Einem Bekannten teilte er mit: „Ich habe, um mich vor dem, was man Nerven nennt, zu retten, seit einiger Zeit ein wenig zu schreiben angefangen…“ So entsteht Weltliteratur. Und der Leser sitzt gleichsam mit am Schreibtisch und erlebt, wie der Autor plötzlich entscheidet, vom „ich“ zum „er“ zu wechseln und diese Person „K“ zu nennen. Die ersten 25 Seiten musste Kafka deshalb korrigieren: „Es war spät abends, als ich“ – nein, „als K. ankam.“
Gewiss wird diese komplexe „Schloss“-Edition auf 1200 Seiten für Fans und Forscher auf keiner Bestsellerliste landen. Aber ein Glück und ein Gewinn ist dieser Spezialfall allemal.
Franz Kafka: „Das Schloss“ in der Historisch-Kritischen Edition sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, hrsg. von Roland Reuß und Peter Staengle, Stroemfeld Verlag, 1200 Seiten, 248 Euro (Subskriptionspreis: 198 Euro).
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