
Curt Bloch war ein Schriftsteller im Versteck. Zu Lebzeiten veröffentlichte er kein Buch. Erst jetzt, 50 Jahre nach seinem Tod, wird sein Werk bekannt. Als hätte er es geahnt, reimte er, der von den Nazis verfolgt wurde, im Jahre 1944 für „meine deutschen Leser“: „Vielleicht kommen euch die Gedichte, / Die ich in eurer Sprache schrieb/ In spätren Zeiten zu Gesichte / Und täten sie’s wär mir’s recht lieb.“
Tatsächlich hat es sehr lange gedauert, bis seine Verse an die Öffentlichkeit gelangten. Erst im vergangenen Jahr machte eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin auf das Werk aufmerksam. Nun liegt die lyrische Abrechnung mit der NS-Zeit auch in einer schönen, mit hilfreichen Erläuterungen versehenen Ausgabe der Anderen Bibliothek vor.
Flucht in die Niederlande
Curt Bloch, 1908 in Dortmund als Sohn jüdischer Eltern geboren, hatte Jura studiert und unter anderem ein Referendariat in Köln absolviert. Doch mit der Karriere war es vorbei, als im April 1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erging. Ohne Aussicht auf eine Anstellung sah sich der politisch links stehende Bloch zur Flucht in die Niederlande gezwungen.
Eine Weile arbeitete er bei einem Teppichhändler in Den Haag. Dann überfielen die Deutschen am 10. Mai 1940 das Nachbarland. Curt Bloch zog nach Enschede, wo er Karola Wolf kennenlernte. Zwei Jahre später spitzte sich die Lage derart zu, dass er untertauchen musste.
Die Freundin als einzige Leserin
Das jahrelange Ausharren in den Verstecken in Enschede und Borne nutzte Curt Bloch für „Het Onderwater-Cabaret“. So nannte er sein Periodikum, in dem er alle 14 Tage ein Langgedicht veröffentlichte. Die Titelseiten der postkartengroßen und fadengebundenen Hefte gestaltete er mit Fotografien, die er aus Illustrierten schnitt. Ein Akt des individuellen Widerstands und der persönlichen Vergewisserung.
Im Zentrum seiner bitter-satirischen Betrachtungen: die Nazi-Diktatur, der Weltkrieg und das Leben im Verborgenen. Das Judentum selbst spielte keine prominente Rolle, wohl aber die Verfolgung im Zeichen der Ausgrenzung. Seine Leserschaft? Einzige Adressatin der Illustrationen und der Gedichte, die er auf Deutsch und Niederländisch verfasste, war seine damalige Freundin Karola Wolf. Auch versorgte er sie mit weiteren Werken, die er für eine zukünftige Veröffentlichung niederschrieb. Karola sicherte sämtliche Texte unter dem Linoleum ihrer Wohnung.
„Der Führer wird nicht ewig führen“
Curt Bloch nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch nicht, wenn es um Hitler, Goebbels und Göring geht. Dass jedes Heft des „Unterwasser-Cabarets“ eine riskante Lektüre sei, weil es „den deutschen Herren“ nicht gefällt, wird in der Ausgabe vom 18. Dezember 1943 angesprochen: „Sorgfältig hält man es versteckt, / Man will nicht, dass man es entdeckt, / Denn wenn man dich damit erwischt, / Mein Freund, dann bist du weg wie nischt.“
Verse wie diese sind heiße Ware: „Der Führer wird nicht ewig führen, / Nein, eines Tages ist es Schluss, / Dann wird er euch nicht mehr sekkieren, / Das Leben wird dann ein Genuss.“ Doch die Lebenszeit – sie rast dahin. Curt Bloch macht keinen Hehl daraus, dass der Gang der Geschichte beim Tempo zulegen möge. Im Juni 1944 schreibt er: „Gewiss, es bleibt nicht so auf Erden / Nein, einmal kriegt die Welt es satt, / Doch möchte‘ ich, es würd anders werden, / Solange man noch was dran hat…“

Schalldichte Witz-Zelle
Immer wieder ein Hingucker sind die Titelseiten. Zwar sind sie mit geringsten Mitteln collagiert und bieten alles andere als ein perfektes Layout. Gleichwohl haben sie Biss. So blicken wir in der Ausgabe vom 26. Februar 1944 auf eine kühlschrankgleiche „Witz-Zelle“, auf deren Türe die Zeile „Naziwitze“ zu lesen ist. Dazu die Überschrift: „Garantiert schalldicht!!!“.
Im Heft selbst lauten die einschlägigen Verse: „Denn es kann keinen Scherz vertragen, / Herrn Hitlers Hakenkreuzregime, / Den Witz muss man sich schon versagen, / Drum witzelt man nur sehr intim.“ Wovon witzelt man? „Von Doktor Göbbels‘ großer Fresse, / Von Görings Uniformensucht. / Von Adolf Hitlers Raffinesse/ Von Rudolf Heß und seiner Flucht“.
„Die Wölfe mimen Schafe“
Manche Verse sind von zeitloser Güte. Man muss sich sogar bremsen, den Finger nicht allzu flott auf diese oder jene von allen guten Geistern verlassene Weltengegend zu richten. Da merkt das zugedröhnte Volk es nicht, wenn „Die Gangster spielen Polizist, / Die Wölfe mimen Schafe“. Und der Tyrann postuliert ohne Scheu und Scham: „Macht ist Recht und Recht was nützlich, / Wenn es auch den andern schadet“.
Doch eines Tages wankt sogar der schlimmste Unhold. Ja, dem „Adolf“ wird es furchtbar bang. In dem Gedicht „Astronomische Möglichkeiten“ sondiert er die verbleibenden Fluchtziele, um der „Rache“ zu entgehen. Selbst Venus, Mars und Neptun verweigern die Aufnahme. „Und Adolf ist sehr deprimiert / Was soll aus mir nur werden, / Kein Platz ist für mich reserviert / Im Himmel und auf Erden.“ Da gibt ihm das lyrische Ich, das niemand anderes als Curt Bloch ist, den Tipp: „Ich rate dir: Geh‘ zum Saturn, / Der fraß die eignen Kinder!“
Warnung vor den alten Fehlern
Curt Blochs Gedicht „An meine deutschen Leser“ birgt nicht nur seine Hoffnung, dass seine Texte eines Tages gelesen werden. Auch formuliert er darin eine Mahnung, an deren Gegenwärtigkeit kein Zweifel bestehen kann. Er warnt die Deutschen vor der „Dummheit der vergangnen Zeiten“. Nicht noch einmal dürfe sich das Volk „verkohlen“ lassen: „Wenn man euch eure alten Fehler / Nun wiederum vergessen lässt, / Dann führt ein neuer Puppenspieler / Euch zu ‘nem neuen Schlachtefest.“
Dann ist er tatsächlich gekommen, der Tag der Tage. Am 3. April 1945 erscheint die 95. und letzte Ausgabe des „Onderwater-Cabarets“ (OWC). In diesem „Überwasserfinale“ erklingt die letzte Strophe: „Vorbei das Töten, Bombardieren, / Vorbei die Zeit von Krieg und Weh. / Das OWC schließt seine Türen / und sagt für immer heut / Ade!“
Tod in den USA
Nicht nur beeindruckt die Energie des Curt Bloch, der an der Dichtung festhält, so lange die Unterdrückung andauert. Auch imponiert das Spektrum der Themen, die Vielfalt der Blickwinkel und der nie versiegende Witz. Das Ganze ist eine Fundsache, bei der man an Anne Franks Tagebuch aus Amsterdam denken könnte, diesem ganz anderen und doch verwandten Zeitzeugnis. Curt Bloch selbst hat die Veröffentlichung seiner Texte nach dem Krieg nicht weiterverfolgt, überhaupt ließ er ab vom Schreiben.
Als er aus dem Versteck auftauchte, musste er erfahren, dass seine Mutter und seine beiden Schwestern im Konzentrationslager ermordet worden waren. Auch löste sich die Beziehung zu Karola auf, seiner Leserin. 1946 heiratete er Ruth Kan, die wie er aus Dortmund stammte. Mit ihr emigrierte er in die USA. Das Paar hatte zwei Kinder. In New York führte er ein Antiquitätengeschäft. Curt Bloch starb am 14. Februar 1975. Da war nicht abzusehen, dass es 50 Jahre später geschehen würde: die Auferstehung seiner Dichtung.
Martin Oehlen
Curt Bloch: „Das Unterwasser-Cabaret 1943-1945“, hrsg. von Aubrey Pomerance, Die Andere Bibliothek, 372 Seiten, 28 Euro, im Schuber: 48 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
