„Aufstehen, Action, Go!“: Heinz Strunk feiert das Thomas-Mann-Jubiläum mit seinem Roman „Zauberberg 2“  

In Schieflage befindet sich der Held in Heinz Strunks „Zauberberg 2“. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Vor 100 Jahren ist Thomas Manns Gipfelwerk „Der Zauberberg“ erschienen. Daran wird in diesen Wochen vielfach erinnert. Rechtzeitig zum Jubiläum legt nun Heinz Strunk seinen neuen Roman vor, der allerdings nur einige äußerliche Verbindungslinien zum Mann‘schen Monument aufweist. Gleichwohl sucht der Titel offensiv den Kontakt: „Zauberberg 2“. Da kann man sich doch nur verheben. Oder?

Sanatorium im „Polenrandgebiet“

Jonas Heidbrink (36) hat es geschafft. Der Student galt als Wunderkind, weil er ein Start-up-Unternehmen im Bereich „Low Code“ – was immer das sein mag – mit großem Erfolg aufgebaut hat. Im richtigen Augenblick verkaufte er es dann zu einem „Phantasiebetrag“ an ein großes Tech-Unternehmen aus Silicon Valley. Er hat also keine finanziellen Sorgen mehr. Doch da wäre noch eine Sache: Jonas Heidbrink verspürt eine psychische Schieflage. Daher fährt er eines Tages in ein Sanatorium im deutschen „Polenrandgebiet“. Dort gibt es keine Gipfel wie in Davos, aber ebenfalls einigen Komfort.

Jonas Heidbrink stellt sich in der Klinik als „so ziemlich das genaue Gegenteil einer rheinischen Frohnatur“ vor. An seiner Seite lernen wir den Psychiatrie-Alltag kennen. Da sind die Untersuchungen durch die Ärzteschaft, die mal banalen und mal philosophischen Gespräche mit den Mitpatienten und Mitpatientinnen, schließlich die Gruppensitzungen und vielfältigen Therapieformate.

„Wie geht es mir heute Nachmittag?“

Zu den Angeboten gehören Musiktherapie, „progressive Muskelrelaxation“, Fototherapie, „Tanz und Bewegung“ – oder auch die Bibliotherapie. Diesmal sind zwölf Patienten dabei. Sie sollen einen Text verfassen. Handschriftlich. Das Thema: „Wie geht es mir heute Nachmittag?“ Weil die anderen so schnell den Stift nicht fallen lassen, fügt auch Jonas Heidbrink weiter Satz an Satz: „Ich kenne mich selbst am besten, aber auch am wenigsten. So, als drückte ich meine Nase auf die Seiten eines Buchs, das ich direkt vor den Augen habe, aber trotzdem nicht lesen kann. Dauernd stelle ich mir komplizierte Fragen, für die es keine Antworten gibt. Ich habe meinen Problemen lange keine Beachtung geschenkt, weil ich dachte, dass sich alles von allein wieder einrenken würde, aber nach und nach wurden die Probleme immer größer, bis ich von ihnen erdrückt wurde. Ich fühle mich oft wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte, die darauf wartet, aus dem Panzer herausgeschält zu werden.“  

Stark wirkt dieser Roman, wenn die Not des Jonas Heidbrink zur Sprache kommt. Stark und düster bis zum finalen Nachtschwimmen in der Ostsee. Die psychischen Probleme werden intensiv, aber ohne Getöse verhandelt. Angst, Unruhe, Depression. Schwarze Gedanken. Die Tränen in der Badewanne, und die dunkle Schwere in der Brust. Begegnungen mit dem Psychiater. Antidepressiva, in deren Abhängigkeit er nicht geraten will. Und dann wird auch noch ein Tumor entdeckt. Für eine Weile werden regelmäßig die „Vitalwerte“ erhoben: Sauerstoff, Temperatur, Blutdruck, Puls. Gleich wird einem ganz plümerant bei all den Diagnosen und Therapien. Für medizinische Fachkräfte mag dies allerdings der „Roman des Jahres“ sein.

„Ratter, ratter, ratter“

Heinz Strunk ist ein geschmeidiger Erzähler. Erfolgreich war er mit vielen Romanen. Von „Fleisch ist mein Gemüse“ über „Der goldene Handschuh“ bis zum „Sommer in Niendorf“, in dem Thomas Mann auch schon erwähnt wird (wozu es auf HIER eine Besprechung gibt). Allerdings strapaziert der Autor zuweilen seine Stilmittel. Da fällt zunächst die Neigung zum Dreiklang auf. Am Anfang mehr als im Rest des Buches: „Aufstehen, Action, Go!“, „Er könnte Bier/Wein/Likör trinken“, „Ratter, ratter, ratter.“, „drei weiß behaubte Köche schnippeln, brutzeln, schwenken“, „Vielmehr Säle. Hallen. Basiliken. Saal Anklam. Saal Stettin. Saal Ostsee.“

Die zweite Auffälligkeit ist der vertraute Hang zur Lustigkeit. Heinz Strunks Werke, wem muss man es sagen, sind oft komisch. Und Komik tut gut, wenn die Lage ernst ist. Gerade auch in „Zauberberg 2“. Da weiß der 80 Jahre alte Klaus, dem nicht mehr viele Stunden bleiben: „Wenn die Ebbe kommt, dann zeigt sich, wer ohne Badehose schwimmt.“ Doch ab und an könnte der Autor auch mal den Fuß vom Gas nehmen.

„Lebewohl, Jonas Heidbrink!“

Ein Sonderfall ist das Kapitel „Kirgisenträume“. Es handelt sich um einen „Traum“, der spätestens beim fünften Satz auffällig wird: „Der Frühling ficht einen schweren Kampf“, heißt es da. Ja, das ist nicht der Originalton des Heinz Strunk. Vielmehr collagiert der Autor Sätze aus den weit über 700 Seiten des „Zauberberg“ von Thomas Mann.

Ganz am Ende paraphrasiert Heinz Strunk das Finale des modernen Klassikers: „Lebewohl, Jonas Heidbrink, des Lebens treuherziges Sorgenkind. Deine Geschichte ist aus.“ (Allerdings verzichtet der Autor hier auf die Fortsetzung der Passage: „Zu Ende haben wir sie erzählt; sie war weder kurzweilig noch langweilig, es war eine hermetische Geschichte.“) Was könnte das anderes sein als eine Verneigung vor dem Meisterwerk. Aber ohne Frage – auch der Roman „Zauberberg 2“ hat seine guten Seiten, wenngleich er kein zweiter „Zauberberg“ ist.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir von Heinz Strunk zuletzt den Roman „Ein Sommer in Niendorf“ HIER vorgestellt.

Thomas Mann hat selbstredend schon viele Autorinnen und Autoren inspiriert. Im vergangenen Jahr hat Inger-Maria Mahlke „Unsereins“ vorgelegt, ein Lübecker Sittenbild um 1900, das auf die „Buddenbrooks“ anspielt. Wir haben den Roman HIER rezensiert.  

Lesungen

mit Heinz Strunk gibt es in den kommenden Monaten in großer Zahl. Die nächsten Termine: Bad Bevensen am 11. Dezember 2024, Bremen am 12. Dezember, Osnabrück am 13. Dezember und Hamburg am 13. Dezember 2024. Dann geht es Mitte Januar weiter im neuen Jahr.

Heinz Strunk: „Zauberberg 2“, Rowohlt, 288 Seiten, 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.  

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