
Sollten wir ein paar Seiten überschlagen? Womöglich vorzeitig ins Schlusskapitel hineinschauen, um endlich zu erfahren, was der Tod des geheimnisvollen Gilles Dupret aus Südfrankreich mit einem Kunstraub im Jahr 1943 zu tun hat? Finger weg von solchen Aktionen. Dazu ist dieser megaspannende Krimi um den Bonner Kunsthistoriker Lennard Lomberg und dessen Verstrickungen in ein viele Jahrzehnte zurückliegendes Verbrechen viel zu dicht und gut geschrieben.
Schätze aus jüdischem Besitz
„Das neunte Gemälde“, 400 Seiten dick und auf mehreren Erzählebenen angesiedelt, ist der erste Krimi des Kommunikationsexperten Andreas Storm. Der Endfünfziger ist im Bergischen Land zu Hause und stellt seinen kürzlich erschienenen Debütroman am 30. September im Rahmen der Crime Cologne in der Kölner Maternus-Buchhandlung vor.
Storm taucht in seinem Buch tief ein in eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte. Man schreibt das Jahr 1943. Frankreich ist von den Deutschen besetzt, und im Museum Jeu de Paume stapeln sich hunderte Kunstwerke aus jüdischem Besitz, darunter die Sammlung Bleustein-Levy. Sämtliche Mitglieder der jüdischen Familie sind im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet worden, ihre Besitztümer waren zuvor beschlagnahmt worden.
Hinweis erst nach 70 Jahren
Die exquisiten Kunstwerke wecken den Geschäftssinn von SS-Untersturmführer Franz Eylmann, der im Auftrag einer Schweizer Kunstgalerie acht Gemälde der Sammlung mit bemerkenswerter Kaltschnäuzigkeit außer Landes bringt. Und ein neuntes, das ihm persönlich gefällt, gleich mit beiseiteschafft.
In der internationalen Kunstwelt ranken sich seitdem zahlreiche Legenden um das geheimnisvolle Bild, das als verschollen gilt. Unter anderem wird es Pablo Picasso zugeschrieben, auch wenn es lediglich mit dem nichtssagenden Schriftzug „ALGADA“ signiert ist. Erst mehr als 70 Jahre später scheint es einen Hinweis auf das verschwundene Kunstwerk zu geben.
Experte für Raubkunst
Ein Mann namens Gilles Dupret kontaktiert den renommierten Kunstgutachter Lennard Lomberg und bittet den Experten für Raubkunst um Hilfe bei der Rückführung eines Gemäldes mit „prekärem“ Hintergrund. Anderenfalls, deutet der Anrufer an, sei dessen bislang untadeliger Ruf in der Kunstwelt in Gefahr. Ein paar Tage später ist Dupret tot – und bei Lomberg stehen zwei Vertreter des Bundeskriminalamts von der Abteilung politisch motivierte Kriminalität und vom Dezernat für Kunst- und Kulturgutkriminalität vor der Tür.
Damit beginnt eine spannende Suche nach dem Mörder Duprets. Und natürlich nach dem neunten Gemälde, das vermutlich der Auslöser der bösen Tat war. Die Spur des Kunstwerks führt auch zurück in Lombergs Familiengeschichte, und der Kunstexperte muss erkennen, dass sein Vater durchaus nicht der gesetzeskonforme Beamte war, für den er ihn ein Leben lang gehalten hat.
Nur scheinbar blütenweiße Westen
Auf einer dritten Erzählebene erfahren wir die Geschichte des ehemaligen Oberstleutnants Ernst Lomberg, der Mitte der 1960er Jahre zum Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts aufsteigt. Noch ist Deutschlands braune Vergangenheit allgegenwärtig in der erst wenige Jahre alten Bundesrepublik, und manche Schaltstellen der Macht sind besetzt von Alt-Nazis mit neuer Identität und blütenweißen Westen.
„Das neunte Gemälde“ ist damit nicht nur ein spannender Krimi, sondern auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte über Deutschlands braune Vergangenheit. Ein vielschichtiges Debüt also, auf dessen Fortsetzung wir gespannt sind: „Die Triade von Madrid“, der zweite Band der Lennard-Lomberg-Reihe von Andreas Storm, erscheint im Herbst 2023.
Petra Pluwatsch
Premierenlesung
auf der „Crime Cologne“ am 30. September um 20 Uhr in der Maternus Buchhandlung in Köln (Severinstraße 76); Moderation: Claudia Cosmo. Weitere Lesungen in Burscheid (27. 10.) und Aachen (10. 11.).
Andreas Storm: „Das neunte Gemälde“, Kiepenheuer & Witsch, 408 Seiten, 17 Euro. E-Book: 12,99 Euro.
