Süßsaures um einen Sexskandal: Aravind Jayan erzählt in „Teen Couple Have Fun Outdoors“ ein indisches Familiendrama

Indische Küstenszene Foto: Bücheratlas

Das ist der kleine Unterschied: „Sex war die eine Sache, aber ein Sexskandal war nochmal etwas ganz anderes.“ Sollte jemand jemals daran gezweifelt haben, so weiß er oder sie es nach der Lektüre des Romans „Teen Couple Have Fun Outdoors“ besser. Aravind Jayan erzählt das süßsaure Familiendrama mit Tempo, Herz und Witz – und mit eben der Erkenntnis, dass Sex und Sexskandal nicht dasselbe sind.  

Ein Honda ganz in Weiß

Ursprünglich war die Woche, in der die Welt der indischen Mittelstandsfamilie aus Trivandrum ins Rutschen geriet, als Festwoche eingeplant gewesen. Denn ein neues Auto steht vor der Tür, ein Honda Civic ganz in Weiß. Schon haben die ersten Nachbarn aus dem Viertel Blue Hills zu diesem mühsam ersparten Statusnachweis gratuliert. Zwar zweifelt der Vater – Appa genannt – ganz kurz, ob Silber nicht doch die bessere Wahl gewesen wäre. Allerdings bekräftigt seine Ehefrau – Amma genannt – die Entscheidung für die Farbe Weiß: „Das wirkt sauber und aufgeräumt.“

Doch bald ist nichts mehr aufgeräumt, jedenfalls nicht in der vierköpfigen Familie, sondern es purzelt vieles durcheinander. Da nämlich kehrt Amma mit der verstörenden Nachricht heim, die ihr eine Bekannte zugesteckt hat: „Es gibt ein schlimmes Video von ihm. Online.“ Wie, was, wo? Schnell findet sich die Bestätigung, dass Sohn Sreenath beim Sex mit Freundin Anita gefilmt worden ist – heimlich, ohne Einwilligung, in freier Natur. Die Sequenz macht Furore auf einschlägigen Portalen. Und da ist er nun – der Sexskandal, der die Familie demoliert.  

Schock und schöne Pointen

Sreenath ist 22 Jahre alt, zwei Jahre älter als sein Bruder, der uns die ganze Geschichte erzählt. Sein locker-flockiger Ton sorgt dafür, dass es einem wegen all der Streitereien und Zerwürfnisse nicht die Kehle zuschnürt. Schöne Pointen sind da inklusive: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Appa Kafka kannte, war ungefähr so groß wie die, dass Kafka ihn kannte.“ Der deutschen Übersetzung von Daniel Beskos gelingt es vorzüglich, diese unprätentiöse Leichtigkeit des Erzählens zu vermitteln: „Montagabend dann passierte etwas.“  

Tatsächlich gibt es einige komische Momente in diesem Familiendrama. Einer davon ist das Sit-in, das Anitas Mutter Veena in ihrem schwarzen Hyundai i20 startet. „Ein neues Modell, aber schlichte Mittelklasse“, registriert der Erzähler. „Wäre es ein Jeep oder Van gewesen, hätten sich meine Sorgen um Sree verdoppelt.“ Mit ihrer Aktion will Veena die Eltern von Sreenath drängen, etwas zur Wiederherstellung von Ruf und Ehre der beiden Familien zu tun.

Junger Woody Allen aus Indien

Das Video ist ein Schock, na klar. Welche Dimension er in Trivandrum erreicht, macht uns der Erzähler klar. Demnach wechselten die Eltern in der Vergangenheit den Fernsehsender, „wenn wir dabei waren und es zwischen zwei Menschen im Film romantisch wurde – es mussten eigentlich noch nicht mal Menschen sein, einmal waren es nur Bugs Bunny und seine Kaninchenfreundin.“ Ein solches Schamgefühl sei nicht nur bei seinen Eltern vorhanden gewesen, „sondern auch bei den meisten Menschen in ihrem Umfeld, wahrscheinlich bei den meisten in der ganzen Stadt.“

Der Ich-Erzähler ist ein Held der Familie, den keiner würdigt. Zwar hat er auch seine ganz eigenen Lebensdinge zu klären, weil er beispielsweise „offiziell sehr“ in Dhruti verknallt ist und ziemlich schnöde abserviert wird. Doch lässt er als „Mittelsmann“ nicht ab von den Bemühungen, die immer größer werdenden Familienrisse zu kitten. Seinen Bruder, der aus dem elterlichen Haus versucht wurde, versucht er zur Aussöhnung mit dem Vater zu bewegen: „Jede Familie hat Probleme, Sree. Selbst Tolstoi hat das gesagt.“ Da klingt der Erzähler wie ein junger Woody Allen aus Indien. Allerdings meint Sreenath nur, dann solle doch Tolstoi bei den Eltern einziehen.

Martin Oehlen

Aravind Jayan: „Teen Couple Have Fun Outdoors“, dt. von Daniel Beskos, Suhrkamp, 248 Seiten, 18 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

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