Mit dem fabelhaften Hang zum Herumpsychologisieren: Mariana Lekys großartige Kolumnensammlung „Kummer aller Art“

Mariana Leky Foto: Bücheratlas

Sensationell ist der Satz, mit dem es der junge Max wagt, Michaela auf sich aufmerksam zu machen. Er hat lange über die richtige Wortwahl gegrübelt, um ihr seine Liebe zu gestehen. Und dann kommt das: „Michaela, ich habe jetzt übrigens die Bastlerzeitschrift ‚Mechanicus‘ abonniert.“

Dramen des Alltags

Es ist ein Satz aus dem Band „Kummer aller Art“, der reich an starken Sätzen ist. Dabei handelt es sich um Mariana Lekys Kolumnen aus „Psychologie heute“. Weil die Zeitschrift nicht zu unserem Lektürealltag gehört, genießen wir nun die Minidramen in konzentrierte Fülle – und fühlen uns erheitert und erhellt.

Mariane Leky erzählt von den alltäglichsten Problemen und Problemchen. Auf die stößt die Autorin zum einen im Gespräch mit ihren sympathischen Nachbarn (eine Ausnahme ist Herr Günter mit dem Höllenblick, der einen „Ratsch im Kappes“ hat und zum Glück nur als Zwischenmieter im Haus wohnt). Und zum anderen macht die Autorin im eigenen Seelenleben reiche Beute. Der „Hang zum Herumpsychologisieren“ liegt offenbar in der Familie. Denn wenn wir die Kolumnen für eine tendenziell korrekte Wiedergabe der Wirklichkeit halten, ist die Psychoanalyse die bevorzugte Berufswahl in der Verwandtschaft – zumindest bei Vater, Onkel und Cousine.

Jede Geschichte ist ein Treffer

Mit der Lektüre des Bandes haben wir in einer Werbepause zur „Königsetappe“ bei der Tour de France begonnen. Das Buch lag halt griffbereit auf dem Tisch. Und beim Sender Eurosport reicht die stumm gestellte Werbung knapp aus für eine Kolumne, die kaum mehr als dreieinhalb luftige Seiten lang ist. Wenn dann plötzlich auffällt, dass man erst einen „Ausreißversuch“ und dann sogar eine „Bergwertung“ verpasst hat, sagt das nichts gegen das Radrennen, aber sehr viel über die faszinierende Qualität der Geschichten.

Mariana Leky, der mit dem Roman „Was man von hier aus sehen kann“ ein formidabler Bestseller gelungen ist, wartet auf mit ihrem vertrauten Sound. Einerseits umschmeichelt er smooth die Sinne, andererseits ist er durchsetzt mit erfrischenden Akzenten. An diesen Sound gewöhnt man sich sehr schnell und sehr gerne. Langweilig wird‘s nie. Jede Geschichte ist ein Treffer. Und viele gehören in die Kategorie Volltreffer.

All die fiesen Ängste

Wenn einmal aus Versehen von der „Gebühreneinzugszentrale“ die Rede ist, die doch vor zehn Jahren vom „Beitragsservice“ abgelöst worden ist, dann fällt einem dabei vor allem auf, wie zeitlos die Fälle sind. Es geht eben nicht um herausragenden Katastrophen. Vielmehr kümmert sich die Autorin um den kleinen Kummer. Die Angst in ihren vielfältigen Erscheinungsformen ist ein besonders ergiebiger Kummerstoff: Von der Flugangst über die Konfliktangst und die Der-Aufzug-bleibt-bestimmt-gleich-stecken-Angst bis zur Umzugsangst. Weiter ist von „cremeweißer Freundlichkeit“ die Rede, von Schlaflosigkeit, Mutmachern und vom Umgang an der Lebensmittelkasse. Auch die Liebe kommt mal vor – aber auf Max und Michaela sind wir ja schon eingegangen.  

Die Magazin-Kolumnen sind für die Buchveröffentlichung überarbeitet worden, wie es heißt. Bei Stichproben fallen tatsächlich nur geringfügige Änderungen auf. Aber sogar die dezente Bearbeitung deutet auf das große Herz hin, das in sämtlichen Kolumnen schlägt. Denn wo Herr Pohl zunächst in einer Geschichte als „der alte Nachbar“ und in einer anderen als „mein betagter Lieblingsnachbar“ erwähnt wird, fehlen in der Buchausgabe jeweils die Hinweise aufs fortgeschrittene Alter. Da ist es dann eben nur: Herr Pohl. Wir spekulieren einmal, dass Mariana Leky an diesen Stellen noch etwas verbindlicher sein wollte als sie es eh schon ist.

Fragen Sie ruhig Ihren Arzt oder Apotheker

Menschenliebe ist das Wort, das uns vor allem einfällt, wenn wir auf diese Texte schauen.  Mariana Leky erzählt von unserem Alltag mit seinen Tücken, Tiefen und tollen Momenten einfach schön. Einfach und schön. Mit klugen Beobachtungen und mit einer Mischung aus sanftem Witz und leichter Wehmut.

Wer sich einen Stimmungsaufheller gönnen möchte, sollte es mal mit „Kummer aller Art“ versuchen. Fragen Sie ruhig Ihren Arzt und Apotheker. Aber auch der Buchhandel kann weiterhelfen.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

findet sich einen Bericht über die Okapi-Patenschaft, die Mariana Leky 2018 übernommen hat. Dabei handelt es sich um ein Geschenk ihres Verlags DuMont, mit dem sich dieser für den dauerhaften Erfolg des Romans „Was man von hier aus sehen kann“ bei der Autorin bedankt hat. All das – HIER.

Mariana Leky: „Kummer aller Art“, DuMont, 172 Seiten, 22 Euro. E-Book: 11,99 Euro.

2 Gedanken zu “Mit dem fabelhaften Hang zum Herumpsychologisieren: Mariana Lekys großartige Kolumnensammlung „Kummer aller Art“

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